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Die Geliebte des Trompeters

Titel: Die Geliebte des Trompeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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während sie selbst mit dem Sohn im früheren Wohnzimmer schlief. Vierzehn, der Sohn! Und immer am Rockzipfel der Mutter. Wegener war vor ein paar Wochen aus britischer Gefangenschaft heimgekehrt, aber seine Frau stieß ihn weg wie eine Stute, die nicht mehr will. Wegener aber fand sich nicht damit ab. Er suchte sich Arbeit, er brachte seiner Frau alles mögliche vom Schwarzmarkt mit. Er rackert, sagte Frau Wegener, mal kieken, wie lange!
    Er kriecht, weil se das Kriechen ja gelernt haben!, sagte Irmgard.
    Wegener ignorierte Riccardas Mutter, so gut es ging, obwohl er in ihrer Wohnung untergekommen war. Wenn sie ein Zimmer betrat, stand er auf und verließ es. Er wusste, was geschehen war. Die Nachbarn hatten es ihm berichtet. Seine Frau wollte davon nichts hören. Die schwor auf Irmgard und ihren praktischen Verstand. Zieh doch Leine, wenn du das nicht kapierst!, sagte sie mit einer Grobheit, die neu an ihr |74| war. Deshalb landete Wegener immer wieder in der Küche. Aber in der Küche fand er kaum Schlaf, denn hier begann morgens das Leben der unfreiwilligen Wohngemeinschaft, hier endete es am späten Abend. Wegener schlief den Schlaf des Gehetzten.
    Ricky spürte kein Mitleid mit dem leise Schnarchenden. Wegeners hatten ja Glück gehabt. Zwar war das Mietshaus, in dem sie gelebt hatten, durch Artilleriebeschuss schwer beschädigt worden. Die Fassade war heruntergesackt wie ein Mantel, der von der Schulter eines Erschöpften gleitet, aber immerhin waren die Wohnungen nur von Schutt und Dreck verschmutzt, die Möbel aber durchaus noch brauchbar. Und so hatten Frau Wegener und ihr Sohn nach und nach das gute Vertiko und mehrere Sessel, den Rauchtisch und sogar das schwere Eichenbett vom ersten Stock des Vorderhauses – oder das, was davon übrig war – über Seile nach unten gelassen und dann über den ersten Hinterhof hierher geschleppt.
    Aus Irmgards Wohnzimmer war ein Möbellager geworden, in dem sich die schutzsuchenden Menschen, so gut es ging, einrichteten, aber nach und nach hatten sich die Reihen der geretteten Stücke wieder gelichtet: Irmgard verkaufte alles. Und sie fackelte nicht lange. Rigoros verlangte sie von ihren Mitbewohnern, dass sie zum Lebensunterhalt beitrugen, und mochte Frau Wegener auch noch so sehr zetern und von unwiederbringlichen Verlusten, Erbteil und Erinnerungen jammern – Irmgard setzte sich durch. Und so standen bald nicht mehr drei Kommoden hintereinander, thronte kein Armlehnstuhl mehr auf dem Buffet.
    Im Winter hatte es ein Mordsgeschrei gegeben, als Irmgard zuerst nur mit nachdenklichem Gesicht, dann aber immer entschlossener in der Wohnzimmertüre gestanden und wortlos auf das Ehebett gewiesen hatte.
    Nein!, rief Frau Wegener entsetzt.
    |75| Ich hab keine Frage gestellt, sagte Irmgard ungerührt und machte auf dem Absatz kehrt. Aber sie kam zurück, immer wieder kam sie zurück, wies wortlos, aber entschieden auf die prachtvolle Schlafstatt, und irgendwann sah Frau Wegener ein, dass es für ihr Eiche-Ehebett nur eine Zukunft gab: im Ofen. Verbissen hackten die Frauen zuerst die Blenden ab, dann das hochstehende Kopfteil, die Beine. Ein paar Tage hatten sie es warm. Na bitte!, sagte Irmgard.
    Inzwischen sah das Wohnzimmer aus wie die ganze Stadt: gerupft, geplündert, auf den Hund gekommen. Man konnte nur noch raten, welche Funktion die einzelnen Zimmer einmal gehabt hatten, man konnte nur noch raten, in welchen Beziehungen die Menschen einmal zueinander gestanden hatten. Alles durcheinander. Immer das Unterste zuoberst. Riccarda schlich durch den Flur und lauschte den Geräuschen der Menschen, die hier in den drei Zimmern verteilt waren. Sie öffnete die Tür zu ihrem, zum Mädchenzimmer. Sie und Renate waren zwar von der allgemeinen Umsortierung verschont geblieben, dafür nutzte Irmgard ihr Zimmer als Lager. Als Zwischenlager für all die Sachen, die sie irgendwo organisierte, um sie dann auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen oder gegen irgendetwas Nützliches einzutauschen.
    Es war finster. Riccarda tastete sich vorsichtig vorwärts. Sie stieß mit dem Fuß an etwas Weiches: ein Haufen Lumpen, der auseinanderfiel und aus dem sofort ein essigsaurer Geruch stieg. Eine Kiste. Etwas schepperte leise. Suppenkellen. Vor ein paar Tagen hatte ihre Mutter einen ganzen Satz emaillierter Suppenkellen nach Hause geschafft, aus irgendeiner Großküche übriggeblieben, dazu Topflappen, Gulaschhaken, Fleischspieße, etwas anderes Unbestimmbares, Scharfkantiges.
    Riccarda bückte sich und

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