Die Geliebte des Trompeters
Berlin, diese Unstadt, diese seltsame, fremde Welt, die mit nichts vergleichbar war, was er zuvor gekannt hatte. Ricky ließ ihn. Sie spielte nur mit seinen Fingern und wartete. Er wartete auf das Gefühl des Unbehagens, das ihn sonst unweigerlich befiel, wenn er mit Mädchen zusammen war. Auf das Gefühl der Bedrängtheit, wenn sie sich an ihn schmiegten und er ihre Erwartungen spürte. Ricky schien nichts zu erwarten. Sie war einfach da. Und nichts war peinlich. Sie setzten sich, wo der Sand in einen kümmerlichen Rasen überging. Sie setzten sich im Schneidersitz einander |69| gegenüber, und als ein Käfer über ihr Bein krabbelte, sah sie es wohl, rührte sich aber nicht.
Er schaute sie offen an, und sie schaute zurück. Sie machten da weiter, wo sie an jenem Morgen angefangen hatten, als er auf dem olivgrünen Lastwagen an ihr vorbeigefahren worden war. Ihre mageren Schultern! Das Kranke ihrer Hautfarbe, das durch das schwarze Hemdchen noch betont wurde. Wie eingefallen ihre Oberarme waren! Als hätte jemand das Fleisch von den Knochen gelöffelt, ausgehöhlt war dieses Mädchen, ausgehöhlt und bleich. Jetzt strich sie das Haar zurück. Sie hatte ziemlich große Ohren, die dicht am Kopf anlagen. Die Ohren gaben ihr das Aussehen eines gereizten kleinen Tieres. Er schaute sie gern an. Er ließ sich Zeit.
Und Riccarda? Die haderte mit sich, denn auch, wenn die amerikanischen Soldaten überhaupt keinen Wert auf Rangabzeichen legten und die einzelnen Offiziersgrade untereinander kaum zu unterscheiden waren, so war doch klar, dass sie es hier mit einem einfachen Soldaten zu tun hatte, einem Rekruten,
Private Chesney Henry Baker
, genannt Chet. Von dem war nicht viel zu holen. Der starrte sie ja selber an mit diesen hungrigen, glühenden Augen. Warum ließ sie sich auf dieses Kind ein? In der Badehose sah Chet noch jünger aus als in Uniform, die Schultern schmal, der Körper beinahe noch ungeformt. Wie eine Kaulquappe, dachte sie manchmal.
Riccarda Krampitz, du hast es mit einer Kaulquappe zu tun, und wenn du nicht aufpasst, wird er noch laichen, und dann hast du den Salat am Hals. Ihr war nicht klar, dass sie einiges durcheinanderbrachte: dass Frösche zuerst laichen und dass dann Kaulquappen entstehen und dass dies alles aber auf keinen Fall etwas mit Salat zu tun hatte. Riccarda kannte sich nicht gut aus mit Fröschen. Und sie kannte sich auch nicht gut aus mit Ängsten. Angst, fand ihre Mutter, |70| konnte man sich nicht leisten und hatte den Töchtern erklärt, dass Angst haben geradezu eine Einladung bedeutete an jedweden Feind.
Das hatte Riccarda eingeleuchtet, auch wenn es sie nachts manchmal schüttelte unter ihrer dünnen Decke. Und so schob sie die trüben Gedanken beiseite und lachte diese kleine amerikanische Kaulquappe an, und der Junge glaubte, sie lachte über seine Versuche, ein paar Worte deutsch zu sprechen.
Ermutigt schlang er ihr den Arm um den Hals und versuchte, sie zu küssen, aber durch die Heftigkeit seiner Bewegung kippte sie einfach vornüber und fiel in seinen Schoß, und dann lachten sie beide erst recht, und sie sprang auf und lief zum Wasser. Sie machte es nicht wie die anderen Frauen, die vorsichtig erst einmal einen Fuß ins Wasser hielten, um die Temperatur zu prüfen, dann ein paar Schritte hineingingen, sich bückten, um sich mit den Händen die Arme zu benetzen, die Schultern, und sich dann schließlich langsam, zögernd ins Wasser hineingleiten ließen. Riccarda rannte einfach hinein, dass es spritzte nach allen Seiten und ein paar Kinder, scheinbar erschrocken, aufkreischten. Sie ließ sich fallen, kaum, dass das Wasser ihr bis zu den Hüften reichte, war einen Augenblick verschwunden und tauchte dann prustend und platschend wieder auf: Chettie! Hey, Chettie! Komm her!
Chettie. Seit Jahren hatte er diesen Kosenamen seiner Kindheit nicht mehr gehört. Woher wusste sie ihn? Seine Mutter hatte ihn so gerufen, wenn er beim Spielen auf den Feldern wieder einmal die Zeit vergessen hatte. Chettie! Sie winkte heftig. Der Junge hatte es nicht eilig. Er wusste selbst nicht, woher plötzlich seine Ruhe kam, seine Gelassenheit. Er fragte sich, wieso er genau spürte, dass es mit Ricky nicht schwierig sein würde.
Er ging zum Wasser. Er tauchte hinein. Das Wasser war |71| sein Element. Ricky kam ihm nach, bis ihr das Wasser bis zur Brust reichte. Was Chet nicht wusste: Ricky konnte nicht schwimmen.
Nachts, als er in seinem Bett in der Kaserne lag und die Kameraden längst
Weitere Kostenlose Bücher