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Die Geliebte des Trompeters

Titel: Die Geliebte des Trompeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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hatten, als das hier noch ein Ballsaal und das Orchester die Band des berühmten
Femina
gewesen war. Die neuen Musiker rückten die Notenständer zurecht, sie putzten die Ventile, sie stimmten die A-Saiten und brachten ihre Gesichter so dicht wie möglich an ihre Instrumente. Dieser Lärm! Diese Hitze! Und dann brach ihre Musik los, als würden zwei Grammophone gleichzeitig gestartet. Es war Swing, der kein Swing mehr sein konnte, es war Boogie-Woogie, der sich mit sich selbst noch nicht auskannte, es war
Jitterbug
, es war heiß, es war schnell, und sofort begannen alle zu klatschen und zu schreien und sich im Takt zu dieser verrückten Musik zu bewegen. Aber was heißt schon
bewegen
– die Männer und Frauen schüttelten sich und sprangen, sie warfen sich zur Seite und gleichzeitig nach vorn, Männer packten Frauen und Frauen Männer, als wollten sie sich nie mehr loslassen, und dennoch warfen sie sich herum, drehten sich, wirbelten aneinander vorbei und aufeinander zu. Die Leiber, die alle möglichen Gerüche ausströmten, bogen sich und zuckten, schüttelten sich, gingen in die Knie und richteten sich wieder auf. Es war, als wollten sie etwas loswerden – sich selbst, die Last der letzten Jahre und die Last des neuen Alltags, die Verletzungen und die Wut, die Angst und den Hunger.
    Den Hunger vor allem! Irgendjemand brachte Teller mit heißen Würstchen, und sofort ließen die Frauen von ihren Tänzern ab und stürzten sich auf das Fett. Der Junge sah, wie Moni ihre Fingernägel in die Wursthaut grub, wie ihre Finger glänzten und ihre üppigen Lippen. Aber sie bewegte sich dabei weiter, ließ ihren runden Bauch kreisen im Takt der Musik und stieß ihre Hüften an seine: Komm, Darling, komm!
     
    Auf einer Betonplatte beherrschte sie das auch. Sie hatten das Lokal zu dritt verlassen: Dick, Moni und er, und die Frau hatte nicht lange gefackelt und ihn beiseite gezogen auf das |59| Trümmergrundstück, und da hatte sie es ihm gezeigt. Hatte ihn zu Boden gezogen und auf den Rücken gelegt, sich auf ihn gesetzt und einfach weitergemacht, schnell, energisch, entschlossen. Der Junge war betrunken und kriegte kaum etwas mit, er dachte an die Sängerin mit der Stimme eines Mannes. Lale, Lale Irgendwie, und er wusste nicht, wie ihm geschah und warum er jetzt an die Sängerin dachte und nicht an die andere, die ihn gerade fertigmachte.
    Er sah Dick aus den Augenwinkeln, der an der Ecke wartete. Aus seiner Perspektive stand Dick auf dem Kopf, und vielleicht musste der Junge jetzt deshalb an Dicks ewige Kindereien denken, an ihre Spiele. Das hier war auch ein Spiel, dachte er sich, das hier, was Moni mit ihm machte, dieser schnelle, ja wütende Fick, das war ein Abenteuerspiel, die Ruinen machten das mit den Menschen, die kaputte Stadt machte sie verrückt, diese ganze zerstörte Stadt brachte sie außer Rand und Band. Die Frau krallte ihre Finger in seine Brust. Dann war es vorbei. Dick rauchte eine Zigarette, zündete ihm und Moni auch eine an, und dann merkte der Junge erst, wie hinüber er war, so betrunken, dass ihn die Frau stützen musste, während sie selbst bei Dick Halt fand, der seine Hand ungeniert in ihrem breiten Hintern verkrallte.
    So taumelten sie zu dritt wie eine einzige Gestalt durch die Nacht, suchten sich ihren Weg und bemerkten nicht, dass ihnen unterwegs ein Paar auswich, eines dieser
Frauleins
mit einem stattlichen Offizier dabei. Und auch Riccarda erkannte den Jungen nicht, sah nur eine torkelnde und laut lachende Gruppe, die auf einen Jeep zusteuerte, sah eine Masse, eine Feierlaune zu dritt. Sie sah Berlingespenster. Wie jede Nacht. Der Captain an ihrer Seite lächelte nachsichtig. Nächste Woche würde er zu Frau und Kindern nach Oklahoma zurückkehren. Da gönnte er auch anderen ihren Spaß.
     
    |60| Sie landeten bei Dick. Dick hatte eine eigene Wohnung über dem improvisierten Kino beim amerikanischen Hauptquartier. Wie waren sie dort hingekommen? Irgendjemand musste sie mitgenommen haben nach Zehlendorf. Irgendjemand musste die lallende Frau an den Wachen vorbeigeschmuggelt haben. Der Junge hatte ihre blonden Haare im Mund. Dann machten sie es zu dritt, und der Junge beobachtete, wie Dick seinen harten Körper auf den weichen der Frau prallen ließ. Immer schneller wurde Dick, immer härter, aber sein Atem blieb ruhig. Der Junge sah die Falte der Konzentration auf seiner Stirn, sah die Sommersprossen auf seinen Schultern, sah den feinen Schweißfilm auf seiner Brust. Dick machte weiter, die

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