Die Geliebte des Trompeters
dem Leim ging. Er ging irgendwie auch innerlich aus dem Leim. Redete mehr, als gut für ihn, und trank mehr, als gut für sie beide war. Moni Schütte fand, dass ihr Gatte seinen Würsten immer ähnlicher wurde. Nur machte er, im Unterschied zu ihnen, leider nicht satt.
Der Frieden bekam Heinrich Schütte nicht und die Russen bekamen ihm auch nicht. Manchmal brachte er gar einige dieser Koljas und Saschas mit nach Hause. Dann verzog sich Moni zu den zeternden Nachbarn und musste sich doch am |63| nächsten Tag die Vorwürfe anhören: Ausgerechnet die Russen! Dabei hasste sie die Russkis genauso, wie es die Nachbarn taten! Sie hatte nach dem Einmarsch der Roten Armee ihre Erfahrungen gemacht wie tausende andere Berliner Frauen auch. Und selbst, wenn Monis Erinnerung an die Vergewaltigungen längst unscharf geworden war, wenn sie verschwanden in einem Meer aus Schnaps und Tollerei – wenn sie in sich hineinspürte, war der Schmerz noch immer da. Er wuchs nicht, aber er wurde auch nicht kleiner. Er war einfach da, unverrückbar wie ein zu schweres Möbel in einem zu kleinen Haus. Der Schmerz brachte Moni schier zum Platzen. Den Schmerz hielt Moni für Wut. Unendlich wütend war sie. Sie erstickte förmlich daran. Sie wollte keinen Schmerz, sie wollte am liebsten überhaupt keine Gefühle mehr. – Gefühle sind was für Sieger!, sagte sie. Und stürzte sich in das wieder erwachende Berliner Nachtleben. Nur nicht stillestehen! Das war ihre Devise. Wenn schon alle an dem großen Kuchen rissen, dann wollte sie etwas davon abhaben, und zwar nicht zu knapp! Ihr Mann hinderte sie nicht daran, denn Moni hatte ihm erfolgreich eingeredet, dass er sie zu häufig allein ließ:– Eine Frau von meinem Temperament! Das hatte sie aus einer Operette. Schütte bewunderte sie für ihre Repertoirekenntnisse der leichten Muse. Er bewunderte sie sowieso. Und was die anderen sagten, kümmerte Schütte nicht. Sie konnten ihn nicht leiden. Weil er sich überall zurechtfand.
So ließ sich Moni Schütte in den Armen dieser halben Kinder, die fortwährend
Bubble-Gum
kauten und sie mit Schokolade vollstopften, durch Berlin kutschieren – im offenen Jeep eine blonde Frau mit leuchtend rotem Kleid, prächtig daliegend wie die am Bug eines stattlichen Schiffes hängende Galionsfigur.
Im Schwimmbad machten sie Augen. Denn Moni fackelte nicht lange und zog sich gleich hier, auf dem Sand, um. |64| Streifte sich das rote Kleid über den Kopf, fluchte, weil sich ein paar Knöpfe in ihren Haaren verfingen, zappelte ein bisschen, trampelte mit den bloßen Füßen im Sand, als würde das helfen, während Freund und Feind ihre umfangreichen Unterhosen, den runden Bauch und die schwingenden Brüste in aller Ruhe betrachten konnten. Dick grinste. Der Junge wandte sich ab. Und dann sah er sie.
|65| II. Zusammen
Riccarda stand nur ein paar Meter von ihm entfernt. Sie stand im knietiefen Wasser. Sie watete darin herum, ganz für sich allein. Sie trug keinen Badeanzug, sondern normale Straßenkleidung: eine Bluse und einen Rock, den sie mit einer Hand hochraffte, während sie mit der freien Hand balancierte. Sie lächelte. Sie war in Gedanken versunken.
Es war das Mädchen von der Straßenecke. Der Junge verspürte eine so unglaubliche Erleichterung, als hätte er etwas wiedergefunden, was er lange entbehrt hatte. Alles war grün. Er sog den Anblick des Mädchens in sich auf, als könnte sie gleich wieder verschwinden, eine Sinnestäuschung, eine kleine Wolke, die über den See zog. Aber das Mädchen verschwand nicht. Sie kam vielmehr, leise platschend, näher. Jetzt hob sie den Kopf. Sie hatte irgendwie braune Haare. Irgendwie helle Augen. Er notierte das in seinem Kopf, als müsste er jemandem berichten. Die Haare über der Stirn zusammengedreht und zu einer Tolle festgesteckt wie so viele junge Frauen. Ihr Gesicht war ungeschminkt. Das Gesicht lächelte. Sie schaute ihn an. Unwillkürlich sprang der Junge auf. Sie kam auf ihn zu, watete aus dem Wasser, ließ aber dabei nicht den Rock los und sah ihn immer weiter an. Endlich, |66| als sie direkt voreinander standen, streckten sie beide gleichzeitig die Hand aus.
Chet. Chesney Baker, sagte der Junge.
Riccarda. Riccarda Krampitz, sagte sie.
Er würde sie Ricky nennen.
Später sollte der Junge erzählen, dass sie beide aufeinander zugegangen seien. Sie sei durchs Wasser gepflügt mit ihren weißen, nackten Beinen, und er habe es nicht ausgehalten und sei ihr entgegengewatet – so, wie er war,
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