Die Geliebte des Trompeters
hassten ihn irgendwann. Dann fand Dick sie besonders reizvoll und sorgte mit Geschenken dafür, dass sie ihren Groll für eine |121| Weile vergaßen, so lange, wie er das wollte. Berlin war für Dick ein Markt. Hier entdeckte er seine Fähigkeiten als Geschäftsmann. Und seine Fähigkeiten waren enorm. Dick war entschlossen, das Jahr in Berlin zu nutzen. Er hatte keine Zeit zu verlieren. Nach zwei Monaten kaufte er sich auf dem Schwarzmarkt eine gebrauchte Schweizer Herrenuhr, eine
Eberhard,
die die italienische Kriegsmarine in Mode gebracht hatte. Wahrscheinlich war sie sogar echt.
Vielleicht war es der Stolz auf dieses außergewöhnliche Schmuckstück aus 1 8-karätigem Gold, der dazu führte, dass Dick einen Tick entwickelte: Ständig schaute er auf die Uhr, ständig kontrollierte er die Zeit, oder er wollte sich vergewissern, dass die
Eberhard
noch da war, und er spielte mit der Stoppuhrfunktion und zählte auf diese Weise die Sekunden, die es brauchte für einen schnellen Lauf, für den Kaffee, den ihm seine Helfer aus dem Casino holten, für
eine schnelle Nummer
mit der neuen Sekretärin. Je mehr er schaute, umso hektischer wurde er.
An diesen geselligen Abenden freilich war es anders. Da ging es darum, eine entspannte Atmosphäre zu schaffen, und Dick hatte die Ärmel seines Hemds hochgekrempelt, damit die Uhr heute Solidität ausstrahlte, Verlässlichkeit. Dick war ganz Gastgeber. Willie, sein Assistent, mixte unermüdlich Cocktails. Cocktails halfen. Cocktails vermittelten eine Atmosphäre der Behaglichkeit, der kontrollierten Ausschweifung. Cocktails waren zu Hause. Cocktails wirkten immer.
Nur bei Chettie nicht. Bei Chettie wirkte der ganze Zauber nicht. Dick wußte nicht mehr, was er mit dem Jungen noch anstellen sollte. Mädchen, scharfe Filme, der beste Tabak, die ausgefallensten Drinks – Chet nahm alles hin, als stünde es ihm zu, sagte nichts, fragte nichts und blieb von diesem provozierenden Gleichmut. Dick fand ihn undankbar, verwöhnt – und er ärgerte sich, dass es ihm etwas ausmachte. Er ärgerte |122| sich, dass er dauernd Chet beobachtete. Chet war an diesem Juniabend so angespannt wie ein Musikschüler vor seinem Auftritt oder wie ein Soldat vor dem ersten Schuss in der Schlacht. Dick wusste, dass sein Vergleich hinkte, vor Auftritten verkroch sich Chettie ganz in sich selbst, er versteinerte geradezu, er schottete sich vollkommen vor der Außenwelt ab, und wenn er mit den Kameraden die Bühne betrat, strahlte er eine geradezu unheimliche Ruhe aus. In der Schlacht waren sie schließlich beide nicht gewesen, aber Chet war ein ausgezeichneter Schütze. Sein Gewehr war ihm gleichgültig, aber alles, was Chesney Henry Baker gleichgültig war, gelang ihm anscheinend besonders gut. Deshalb nannten ihn die Kameraden in der Band nur noch gelegentlich
Girl
oder Kleiner. Chet hatte sich Respekt erworben, denn er erfüllte sehr wohl das anspruchsvolle Ideal der 298th Army Band: ein guter Soldat zu sein und ein guter Musiker.
Chet schien beides nicht besonders anzustrengen, das militärische Training nicht und die vielen Proben und Auftritte nicht. Manchmal waren sie an einem Tag an drei verschiedenen Orten, zogen sich in den zugigen Hallen um und freuten sich, als die Army ihnen einen Bus spendierte, in den sie achtlos benutzte Wäsche, Socken und verschwitzte Hemden warfen. Manche machte das völlig fertig, dieser dauernde Wechsel, vom Schießstand zur Orchesterprobe – nicht aber Chet. Er erledigte alles wie im Schlaf. Er kümmerte sich bei den Auftritten nicht um ihre Umgebung und beim Training nicht um das Lob des Sergeants.
Dieser Abend hier schien Chettie allerdings nervös zu machen. Er hielt sich im Hintergrund. Wenn eins der Mädchen ihn ansprach, antwortete er einsilbig und so unfreundlich, dass sie sich gleich wieder zurückzog. Er trank keine Cocktails, sondern hielt sich an Bier. Und er rauchte ununterbrochen, hastig, gierig, nicht wie jemand, der den Tabak genießt, |123| sondern wie einer, der’s braucht. Bisschen jung für diese Einstellung, dachte Dick. Bisschen jung, um so gelangweilt und so abgeklärt zu sein! Halb zehn. Die Uhr zog sich von selbst auf, einfach dadurch, dass man sich bewegte. Es war faszinierend, ein Patent aus den Zwanzigern. Geradezu gewaltsam musste Dick den Blick abwenden.
Chet gab sich keine Mühe, Interesse für den Pornostreifen zu heucheln. Er stand vielmehr seitlich zur Leinwand, hatte die Jalousie vor dem Fenster ein wenig angehoben und schaute
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