Die Geliebte des Trompeters
hinaus. Mit der freien Hand strich er sich die Haarsträhne aus dem Gesicht, die ihm immerzu in die Stirn fiel. Dick ertappte sich dabei, wie er diese Hand beobachtete und nicht die Hände des vielgliedrigen Wesens auf der Leinwand, das da rubbelte, schubberte, rieb und massierte. Chets Hände! Sie wirkten älter als das restliche bisschen Körper des Jungen. Die Hände des Jungen wussten mehr, und Dick fragte sich, ob das vom Trompetespielen kam, ob die Musik den Jungen schneller leben ließ, intensiver oder auch härter. Plötzlich wünschte sich Dick, dass Chet spielte, gleich jetzt, gleich hier im Club, und dass er für eine Weile nichts mehr hörte als Chets Musik.
Abrupt wandte sich der Junge vom Fenster ab und ließ die Jalousie sinken. Ich geh jetzt!, sagte er schroff zu Dick und lehnte den angebotenen Drink ab.
Da brannte bei Dick eine Sicherung durch. Was war bloß mit dem Jungen los? Was sollte diese verdammte Schläfrigkeit? Ja, glaubte er denn, das alles hier erledigte sich von selbst? Die Pralinen? Die Zigaretten? Der Whiskey? Der Wein? Dick wurde immer lauter, und die anderen wußten nicht, ob es sich um ein abgekartetes Spiel zwischen diesen beiden Unzertrennlichen handelte oder doch um einen Streit. Dick lachte zwischendurch, dann benutzte er wieder die schmutzigsten Schimpfwörter. Ist dir das hier nicht fein genug? Nicht |124| exklusiv? Schmecken dir meine Cocktails nicht? In einer augenblicklichen Eingebung zerrte Dick seinen Assistenten herbei. Willie musste eine ganze Reihe von Cocktailgläsern aufstellen. Dick hieß ihn, sie mit Gin und Wodka halb zu füllen, und dann holte er sein berühmtes Prachtstück aus der Hose, dass die Mädchen aufkreischten, schwenkte damit herum, riss einem Private, der ahnungslos zur Türe hereinkam, die Mütze vom Kopf, um sich damit scheinbar schamhaft zu bedecken, drehte noch eine Ehrenrunde, um dann, genau zielend, Glas um Glas mit seinem kräftigen Strahl zu füllen. Santé!
Ich geh jetzt!, wiederholte Chet, anscheinend unbeeindruckt.
Und Moni, die ihn die ganze Zeit über beobachtet hatte, konnte in dem allgemeinen Tumult nur hastig hinterherrufen: Warte, ich komme mit.
Natürlich wartete Chet nicht. Er wartete nie auf Mädchen. Und jetzt schon gar nicht. Jetzt, wo in seinem Kopf alles durcheinanderging. Dabei hatte er eigentlich etwas beobachtet, über das er nachdenken wollte. Aber dann kam Dick. Was hatte der bloß? Irgendetwas war anders zwischen ihnen als früher. Die Pisserei störte Chet nicht. Normal unter Männern. Jedenfalls unter dieser Art Männern. Und Dick musste immer noch einen draufsetzen. Immer eine Spur dreister und schärfer als alle anderen. Er dachte an die Nummer auf dem Schiff, damals, als sie nach Bremerhaven gekommen waren. Er dachte daran, wie Dick in den Putzeimer gepinkelt hatte. Das eben war eine Wiederholung, ein Zitat. Es sollte ihn an etwas erinnern? Aber an was? Moni rief immer noch hinter ihm her. Zwecklos. Irgendwann würde sie ihn einholen. Die Mädchen gaben nie auf. Egal, wie lange man sie warten ließ, und wenn man sie versetzte, wurden sie erst richtig wild. Die einzige, auf die er je gewartet hatte, war Ricky. Oder ganz früher |125| seine Mum. Aber die hatte ihn allzu oft warten lassen, wenn er hoffte, dass sie noch einmal nach oben käme, um ihm gute Nacht zu sagen. Meistens war sie dann doch nicht gekommen, sondern hatte in der Küche bei Dad gesessen und zugeschaut, wie der sich betrank, sie bewachte ihn beim Trinken, oder er bewachte sie, wer wusste das schon, manchmal dachte Chet, dass man daran ein Liebespaar von einem Ehepaar unterscheiden konnte: Die einen tranken gemeinsam, die anderen überwachten sich dabei, und manchmal hatten seine Eltern diese anstrengende Prozedur satt und begannen wieder, sich anzuschreien. Dann wusste Chettie, dass keiner kommen würde.
Danach hatte er sich das Warten abgewöhnt. Bis Ricky kam. Aber Ricky war jetzt weit weg, in ihrer Wohnung, die sie, soweit er verstanden hatte, mit ihren Eltern, einer Schwester und etlichen fremden Leuten teilte. Sie wollte ihm die Wohnung nicht zeigen, auch ihren Dad und ihre Mum nicht vorstellen, dabei war das nichts Ungewöhnliches, dass die
Frauleins
ihre Liebhaber zu Hause einführten, denn schließlich hatten doch alle etwas davon, und manchmal sorgte sich Chet, ob sie sich seiner schämte, und er fragte sich dann: Schämen, wofür? Gleichzeitig schämte er sich aber selbst, weil er diesen seltsamen Wunsch hatte, den Wunsch, bei ihrer
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