Die Geliebte des Trompeters
Milde seines Vorgesetzten wunderte. Insgeheim hoffte der Sergeant, dass der Private Chesney Henry Baker auf diese Weise wieder auf andere Gedanken kommen würde. Allein mit AFN und heimatlicher Musik würde sich der Bengel vielleicht besinnen – so weit ein Siebzehnjähriger aus Kalifornien mitten in diesem Irrenhaus überhaupt dazu in der Lage war. Er mochte den Jungen ganz gern. Und er wäre ihn gern losgeworden. Hätte ihn lieber heute als morgen nach Hause geschickt. Er passte nicht hierher. Der Sergeant hörte es hinter der verschlossenen Tür kramen, hörte ein Gewinde quietschen. Er grinste. Es ging schon los.– Lasst ihn in Ruhe, wenn er spielt!, sagte er streng zu dem Wachmann. Der nickte verständnislos, aber folgsam.
Aber Chet spielte nicht. Er setzte nur sein
Horn
zusammen, probierte hier und da an den Ventilen herum, packte sorgfältig den Lederlappen aus, den er im doppelten Boden des Koffers aufbewahrte, und begann zu polieren. Es war nicht nötig, Chet pflegte sein Instrument besser als seine Zähne, aber es beruhigte ihn. Und während er putzte, begann er leise vor sich hin zu summen. Aus dem Summen wurde Singen. Standards, die er auswendig wusste:
Speak Low, One Step To Heaven, Here’s That Rainy Day.
Aber die sanften Melodien machten ihn heute unruhig, machten ihn geradezu wütend. Unschlüssig packte er das Instrument. Er nahm das Mundstück zwischen die Lippen, wärmte es, fuhr mit der Zungenspitze darüber. Eine alte Angewohnheit. Er blies probeweise hinein. Versuchte ein paar Töne. Der Wachmann vor der Tür horchte auf. Chet hatte so eine Art, die Trompete zu blasen! Die Töne kamen weich. Und leise. Der Wachmann verstand nichts von Musik, und er wusste nicht, wie wichtig ein guter Ansatz beim Trompetespielen ist, aber er fühlte sich augenblicklich angesprochen von dieser Musik. Chet spielte, als wollte er einen Schlafenden auf keinen Fall wecken. Und tatsächlich |184| ertappte sich der Wachmann dabei, dass er auf Zehenspitzen fortschlich. Im Aufenthaltsraum der Wachleute lachte er über sich selbst: So etwas, war er dem kleinen Biest auf den Leim gegangen!
Das kleine Biest setzte inzwischen das Instrument wieder ab. Er war unzufrieden. Fahrig. Sein Kopf schmerzte immer noch zum Erbarmen, und wenn er ihn zu rasch bewegte, wurde ihm schwindlig. Dieses Land machte einen krank.
Benny Goodman und Duke Elllington halfen nicht weiter. Er drehte das Radio an, streckte sich auf der Pritsche aus. Die Deutschen waren verrückt nach diesem Sound.
Major Glenn Millers Army Air Force Band
war der Hit. Mit dem
Jeep Jockey Jump
begann die Band ganz behutsam. Da waren die treibenden Trompeten und Posaunen aus dem
St. Louis Blues March
, aber alles ein bisschen ruhiger, vernünftiger, und selbst das Saxophon-Solo in der Mitte blieb unter Kontrolle. Da riskierte mancher ein Tänzchen, dem die Amimusik ansonsten noch fremd war. Mit
Everybody Loves My Baby
brachte die Band dann jeden Saal zum Kochen, Filmmusik, die sich auf Katerpfoten anschlich, aber augenblicklich einen irren Drive entwickelte, die geschmeidigen Klarinetten gaben hier den Ton an, das Sopransaxophon rief ihnen hell hinterher, und erst das Piano fing alle wieder ein – und dann war es Zeit für den Lokal-Hit: Die abgekämpften Menschen in der alten Hauptstadt waren versessen darauf, versessen auf
There’ll Be A Hot Time In The Town Of Berlin
, und sie bekamen ihn immer, ihren Song
.
Klar, das Ding hatte Rhythmus, die Melodie blieb jedem sofort im Ohr – trotzdem spürte Chet, dass da ein Missverständnis vorlag, ein freundliches Missverständnis. Die Berliner jubelten, weil sie sich gemeint fühlten. Aber waren sie gemeint, hatte das alles wirklich mit ihnen zu tun? Die explodierenden Bläsersätze, die zahllosen Wiederholungen der Melodiebögen |185| im immer üppigeren Arrangements – all das hatte Chet in den vergangenen Wochen auch von deutschen Bands in den Clubs gehört. Von Coco Schumann und der
Berliner Allstar Band
. Es waren Erben des Swing. Die Leute bejubelten etwas, das sie kannten. Sie bejubelten, dass es weiterging, nicht, dass etwas neu anfing. Chet kratzte sich im Nacken. Herrgott, warum machte er sich so einen Kopf! Die Leute wollten eben ihren Spaß, sie sagten immer, Hauptsache, es ist
schmissig.
Das alte Naziwort hatte noch nicht ausgedient. Chet, ahnungslos, hatte es bald gelernt.
Schmissig
schien deutsch für
cool
. Aber vielleicht war das auch nur ein Missverständnis, wiederum ein freundliches. So, wie es ein
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