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Die Geliebte des Trompeters

Titel: Die Geliebte des Trompeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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furchtbar ernst, und das machte es so komisch: Ein paar winzige Schritte hin und her, dann erstarrten sie. Am Ende jeder Liedzeile ruckten sie in eine pathetische Pose: |176| Den Arm weit über den Kopf zurückgebogen, dabei ein Bein gehoben.
Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt   …
Dann trat die eine zur Seite, um der anderen Platz zu lassen, und die führte ihre Brücke vor, den kindlichen Rücken nach hinten gebogen, bis die Hände den Boden berührten. Die Herzen zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen. Das Publikum applaudierte frenetisch. Die Brückenbiegerin trat zur Seite, und die erste stemmte energisch einen Fuß in den Türrahmen und breitete seitlich die Arme aus, dass es die Herzen flach zur Seite zog. Die Männer jubelten, als sie den Oberkörper nun nach vorn neigte. Die Mädchen verzogen keine Miene. Sie waren stark geschminkt, ihre Gesichter waren eine weiße Fläche, so dass die Augen umso stärker hervortraten. Runde Augen, Puppenaugen, ganz tot.
    Chet bemerkte, dass es unter den Gästen auch ein paar deutsche Zivilisten gab. Einer von diesen ging in der Pause umher und sammelte den Eintritt in seiner Mütze ein, während die Hausherrin der einen den Ausschnitt des Trikots nach unten zog: Püppi, lass sehen, was du hast! War das etwa die Mutter? Wo waren sie hier gelandet? Unwirsch wandte sich Chet ab. Fernando hielt ihn fest. Das ist ein Nachtclub, erklärte er, kapiert? Die machen das ein bisschen anders als wir. Alles improvisiert, aber auch alles echt. Ganz lustig, oder? Fernando redete sich in Rage. Er wusste Bescheid. Er war ein Kenner. Der Kreuzberger Nachtclub war nur einer von vielen privaten in der Stadt. Sie schossen geradezu wie Pilze aus dem Boden. Familienbetriebe, sozusagen. Ja, wo lebte er denn!, fragte er Chet, beinahe entrüstet – auf dem Mond? Und dieses Geturne der halbwüchsigen Mädchen? Das war ein
Schönheitstanz
, Herrgott, das wusste doch jeder – in Berlin der letzte Schrei. Und obendrein eine Kulturveranstaltung, grinste Fernando, richtige Kultur! Das wollen sie doch immer, dass wir das machen! Kultur! Und international!
    |177| Und er griff einem der Mädchen, das sich gerade an ihnen vorbeischieben wollte, ans Kinn. Das Mädchen grinste ihn frech an, und er steckte ihr einen Dollarschein zu:
See you, baby!
Das verstand sie. Sie nickte. Sie lächelte wieder. Die Puppenaugen verzogen sich zu Schlitzen. Sie war höchstens sechzehn, schätzte Chet.
    Eine neue Musik ertönte, Opernmusik diesmal,
Martha.
Chet schaute nicht hin. Er wusste jetzt, was passierte. Sie tranken viel. Sie tranken lauter Sachen, die sie nicht kannten. Und sie landeten mit Fritz, einem Deutschen, der angeblich als Schieber dicke Dinger drehte, in einer Spelunke, wo sie noch weiter noch unbekannteres Zeug tranken, und weil Chet wusste, dass er am nächsten Tag ohnehin einen fürchterlichen Schädel haben würde, gaben er und Willie sich auf dem Nachhauseweg den Rest und leerten Willies Flachmann mit Brandy. Das waren die Deutschen? So etwas machten sie abends? Vielleicht waren sie doch verrückter, als er gedacht hatte, doch wahnsinnig geworden über diesem Krieg?
    Er stellte sich Ricky in diesem Irrsinn vor und musste lachen, so absurd kam ihm das vor. Und doch – was wusste er von ihr? Was tat sie, wenn sie ihn nach Hause geschickt hatte? Aus dem Lachen wurde ein Schluckauf, dann Brechreiz. Die anderen warteten nicht auf ihn. Es hatte keinen Sinn, er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Er musste sich darauf konzentrieren, Willie nicht aus den Augen zu verlieren. Und George. Die anderen, Fernando und diesen seltsamen Fritz, hatten sie unterwegs längst verloren, in den Armen irgendeiner Gitty oder Lissy oder wie sie alle hießen mit ihren offenen Armen und Schößen und Herzchenschlitzen über der Brust.
    Willie und Chet brauchten das nicht, lallten sie sich gegenseitig vor. Sie waren sich selbst genug. Chet entdeckte sie hier, diese schöne Einigkeit unter schwer Angeschlagenen. |178| Jeder verachtungsvolle oder ängstliche Blick von entgegenkommenden Passanten bestärkte sie nur darin, dass sie, weiß Gott, etwas Besonderes waren, Brüder, Brüder im Geiste, den sie sich gerade wegsoffen, Brüder in der Sehnsucht, nur dass sie vergaßen, wo diese Sehnsucht hinwollte, Brüder im Glauben waren sie, im Glauben daran, dass alles sowieso sinnlos und die paar
Bucks
nicht wert sei, die sie dafür ausgaben. Sie torkelten gemeinsam durch die Trümmerwüste, sich gegenseitig eher

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