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Die Geliebte des Trompeters

Titel: Die Geliebte des Trompeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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Missverständnis war, wenn Sieger und Besiegte Abend für Abend in den Clubs zusammen tanzten, zusammen tranken, zusammen vergaßen, was hinter ihnen lag. Vielleicht war alles ein Missverständnis, vielleicht auch die Liebe, vielleicht sogar Ricky. Was war das für ein Radioprogramm, das einen auf solche Gedanken brachte?! Unwillig lauschte Chet dem AF N-Programm , dieser seltsamen Mischung aus Schlagern, deutschen Versionen von Swing, Marschmusik und immer gutgelaunten Moderatoren, ein Programm wie
Mashed Potatoes
, die es unweigerlich jeden Dienstag im Casino gab, ungesalzen, zusammengerührt. Es machte friedlich, aber nicht satt.
    Chet sehnte sich geradezu körperlich nach anderer Musik, nach richtiger Musik. Nach Musik, die neu anfing. Die erst einmal zertrümmerte. Musik, die Gläser durch die Bar warf. Musik, die die Hand biss, die sie ernährte. Er sehnte sich nach Dizzy Gillespie. Nach Charly Parker. Nach den Typen mit den Baskenmützen, die selbst nachts um drei in den Clubs die Sonnenbrillen nicht abnahmen. Hipster. Sehr cool. Als müssten sie ihre hochempfindlichen Augen vor zu viel Wirklichkeit schützen. In Berlin bräuchte man drei Sonnenbrillen, dachte Chet und lachte leise. Na, vermutlich schützten die |186| ihre Augen auch aus anderen Gründen. Man hörte so einiges. Die rauchten nicht nur Tabak. Und er saß in der Kaserne in Zehlendorf fest, in der sich schon Heerscharen gelangweilter Sünder an den Wänden verewigt hatten. Er konnte nicht einmal Ricky benachrichtigen, und wer weiß, was die dachte. Sein deutsches
Fraulein
. Sein Missverständnis. Auch Chet kratzte in die Mauer: Ricky. Mit einem Herzen drumherum. Und:
Dizzy was here
. Ein frommer Wunsch. Dizzy war nicht hier. Er wurde nicht einmal im Radio gespielt. Nicht heute.
    Als Paul, der freundliche Gefreite, der abends Dienst hatte, die Klappe öffnete, um dem Insassen von Arrestzelle 307 sein Essen zu reichen, rührte der sich nicht. Paul wartete eine Weile, dann schloss er auf. Chet reagierte nicht. Er lag auf dem Rücken, die Trompete auf den Bauch gelegt, und starrte an die Decke. Er lag da wie tot, aber die Bauchdecke hob und senkte sich regelmäßig. Paul mochte Chet. Alle mochten den Kleinen, der so verdammt gut Trompete spielte, der nichts vertrug und Schlägereien aus dem Weg ging. Jetzt aber zögerte Paul, den so viel Jüngeren anzusprechen. Er räusperte sich.
    Verpiss dich!, sagte Chet. Ich höre Musik.
    Aber da war nichts. Das Radio hatte Chet schon lange ausgestellt. Trotzdem verließ Paul kommentarlos die Zelle. Das Essen ließ er stehen.
     
    Captain Steve Brooks brachte das Mädchen, das so erbärmlich zitterte und weinte, nach oben. Er hatte sie gefunden, als ihm einer der deutschen Elektrotechniker im Abschnitt S11 in einem der Versorgungstunnel einen Defekt zeigen wollte, ausgelöst wahrscheinlich durch Leute, die hier immer wieder eindrangen – auf der Suche nach Essbarem, nach Brauchbarem, nach irgendetwas, das ihre Lage verbessern würde. Fast fünf Kilometer zogen sich diese Schächte kreuz und quer unter dem Gebäudekomplex hin, kein Mensch fand sich da |187| ohne Plan zurecht – und schon gar nicht ein junges Mädchen, das bei seinem Anblick hell aufschrie, zurückwich und sich auch von dem deutsch sprechenden Arbeiter nicht beruhigen ließ. Captain Brooks dachte, es sei wieder einmal seine Hautfarbe, die jemanden erschreckte, aber dann war es doch er, der sie anfassen konnte, er war es, der ihr eine Decke umlegte, er war es, der sie fest um die Schultern fasste und mit sanften, aber bestimmten Worten zum Aufzug und dann nach oben brachte. Im sechsten Stock, wo die Büros der Kommandantur untergebracht waren, arbeitete Lucy, die Krankenschwester, die sich sofort um die Kleine kümmerte. Sie schüttelte den Kopf, denn Ricky zitterte vor Kälte, obwohl es in den Schächten über dreißig Grad warm war. Sie war kreidebleich.
    Sieht aus wie ein Schock, meinte Lucy fachmännisch – aber was kann da unten schon gewesen sein?!
    Sie nötigten Ricky auf eine Liege, sie deckten sie zu. Ricky wollte nach Chet fragen, aber sie traute sich nicht, sie fühlte sich so jung und so dumm zwischen all diesen Uniformierten, die lässig herumstanden, genau zu wissen schienen, was zu tun war, und sich unterhielten. Nur dieser Steve schaute sie auf andere Weise an. Ernst und ein bisschen besorgt, und Ricky dachte, dass es gar nicht so schwierig war, in der Miene eines Schwarzen zu lesen. So nah war sie bisher noch keinem gekommen.
    Sie

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