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Die Geliebte des Trompeters

Titel: Die Geliebte des Trompeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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heiß: Erwartete Ricky etwa so etwas von ihm? Einen Ring? Er konnte es sich nicht vorstellen, aber wer kannte sich schon aus! Er überquerte den kleinen Platz an der Kirche. Hier hatten sie sich herumgedrückt, die Finger überall am anderen, die Münder auf Wanderschaft, um sich herum Reste von Pfeilern und von steinernen Figuren, die sie hohläugig anstarrten. Chet spürte die Erregung in den Knochen, aber er hatte kein gutes Gefühl, wenn er daran dachte, wie sie es in der Kirche getrieben hatten. Er war nicht religiös, aber etwas flog ihn an, umkreiste ihn, so wie einen nachts manchmal Fledermäuse störten. Sie machten einem klar, dass man nicht hierher gehörte. Chet war empfindlicher als Ricky, was Orte betraf. Ricky fand immer neue Verstecke. Eine halb eingestürzte Orgelempore, die ein Zeltdach bildete, den Keller, in dem es nach Feuchtigkeit roch und nach Wein, das verlassene Labor in einem privaten Klinikum.
    In wie vielen Kellern waren sie gewesen! Es war eine Untergrundliebe, eine Erdlochliebe, sie verkrochen sich immerzu tief in die Erde, sie gruben sich ein und dann mühsam wieder aus, sie gingen verloren in all den ehemaligen Bunkern, den Archiven, den Kellern und U-Bahnschächten der Hauptstadt. Der Untergrund machte sie kühn und frei. Sie hatten kein Bett und nur selten eine Decke. Keine Chance, etwas zu verbergen. Keine Chance, die Augen zu schließen. Irgendwann hatte der Zauber auch auf Chet gewirkt. Irgendwann hatte Chet gemerkt, dass er es kaum erwarten konnte, sich in irgendeinem Schacht die Kleider vom Leib zu reißen und Rickys mageren Körper an seinen zu pressen. Er schämte sich nicht mehr. Er wandte den Kopf nicht mehr ab.
    |191| Und Ricky? Schaute ihm ins Gesicht, wenn sie kam. Lachte, wenn es klappte, und lachte, wenn es nicht klappte. Sie war manchmal roh. Sie war immer direkt. Sie nahm sich, was sie brauchte. Und es machte ihn stolz, dass sie offensichtlich ihn brauchte. Oder wollte, oder beides. Es war so unverhohlen. Es war echt. Das Tageslicht hatte sie regelmäßig wieder aufgescheucht. Der allmählich wieder einsetzende Alltagslärm. Ein Briefträger, der sich den Weg durch die halb zerstörten Straßen bahnte. Dann flohen sie. Die Normalität war ihr Feind.
    Chet seufzte und kickte einen kleinen Abbruchstein vor sich her. Er dachte an Ricky wie an etwas Gewesenes. Dabei hatten sie ihm erst gestern den Termin seiner Rückkehr in die USA mitgeteilt – Mitte November, bis dahin war noch viel Zeit. Am Anfang der Akazienstraße roch es würzig und scharf nach Leder und Gerbmittel. Die Sattlerei war wieder geöffnet, der alte Mann, der sich im Schaufenster zu schaffen machte, hatte sicher genug zu tun, denn Stiefel und Lederkoppel der Alliierten wollten gepflegt sein. Chet entdeckte Schulranzen in einem Regal und war plötzlich gerührt. Ein paar Häuser weiter bot ein Friseur seine Dienste an. Zwei Frauen standen in seinem Laden herum, als ob sie noch unschlüssig wären, jede ein Handtuch über dem Arm, jede ein Stück kostbarer Seife in der Hand. Man hörte die Frauen bis nach draußen lachen und scherzen, ihre Stimmen klangen fröhlich und ein wenig aufgeregt, ein Festtagsgeschnatter war das, es brachte Chet zum Lächeln. Vielleicht waren sie nicht unschlüssig, vielleicht wollten sie den Moment ausdehnen, den sie so offenkundig genossen. Vielleicht redeten Frauen überhaupt deswegen so viel? Nie hatte sich Chet Gedanken über das Geplauder von Frauen gemacht. Oder über Haare. Sie gefielen ihm. Er mochte Frauen, die dichtes, dunkles Haar hatten. Wie seine Mum. Er dachte daran, wie heikel seine Mum mit ihren Haaren war. Nie
saßen sie richtig
, was auch immer |192| sie sich vor ihrem Besuch beim Friseur vorstellen mochte – heraus kam offenkundig immer etwas anderes. Selbst Dad zog den Kopf ein, wenn Mum mit dem alten Wagen vom Friseur zurückkam, den Motor abwürgte und mit jeder Geste zeigte: Es war wieder nichts geworden. Ein Friseurbesuch, das war die geplante Enttäuschung, die Frauen holten sich ihre kosmetische Ohrfeige und bezahlten noch dafür. Wie anders war das hier! Chet schaute fasziniert in den Laden. Der Friseur war jetzt nach hinten gegangen, in einen Nebenraum. Wahrscheinlich machte er dort das Wasser warm. Die Frauen setzten sich inzwischen, sie drehten die Stühle hierhin und dorthin. Sie schlugen die Beine übereinander und dann wieder nicht. Die eine schaute in den Spiegel, lächelte. Die andere machte eine Bemerkung, beide lachten hell auf. Chet begriff:

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