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Die Geliebte des Trompeters

Titel: Die Geliebte des Trompeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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behindernd als helfend, wenn sie sich stützten. Aber sie wollten sich nicht loslassen, jetzt nicht und nie mehr. Brüder! Brüder!
    Am nächsten Tag bellte ihn der Sergeant aus dem Bett. Arrest! Und Chet war nicht einmal traurig darüber.
     
    Ricky stand am Zaun, die Finger um die Maschen geklammert. Weiter kam man nicht. Weiter kam man nicht, wenn man eine Deutsche war und nicht als Angestellte hier arbeitete. Es war nicht weit von der Wohnung in der Akazienstraße zum Flughafen Tempelhof, ein Klacks gegen die Entfernungen, die sie und Renate zurücklegten, um Lebensmittel zu besorgen und Brennmaterial für den Winter, aber Tempelhof lag außen vor. Das war schon vor dem Krieg so gewesen. Damals war Tempelhof eine Baustelle gewesen – eine der größten des Reiches, und stolz war in den Wochenschauen immer wieder von den gigantischen Fortschritten an diesem gigantischen Bauwerk berichtet worden. Gigantisch, riesig, kolossal und imposant – das waren die Kennzeichen der neuen Architektur, die aus Berlin ein strahlendes
Germania
machen sollte, und Tempelhof war Teil davon. Ein Flughafen, gewiss, aber mehr noch als das – ein Symbol der Fortschrittlichkeit und der technischen Fähigkeiten der Deutschen.
    Jedes Kind kannte den Namen des Architekten: Ernst Sagebiel. Sa-ge-biel, Ricky hatte den Namen gepaukt wie die der |179| anderen Berühmtheiten. Sie hatte sich das Foto in der Schulfibel genau angesehen: ein ehrgeiziger kleiner Dicker, der schon die Flughäfen in Stuttgart und München-Riem geplant hatte. Gleich 1933 war er in die Partei eingetreten. Ein Überzeugungstäter, einer, dem der Führer wie gerufen kam, weil er endlich ohne Beschränkung seine Träume realisieren konnte: Bauten, die zu schweben schienen, Gewölbe, die riesige Flächen mühelos überspannten, Bauten, die repräsentativ und funktional zugleich waren. Und Tempelhof war sein Meisterstück. Eine geschwungene Anlage, deren Form an die ausgebreiteten Flügel eines Adlers erinnern sollte.
    Wie satt sie alle diese Adler hatten! Es würde Jahre dauern, alle diese Adler aus Nazideutschland abzubauen, man könnte eine riesige Ausstellungshalle nur mit den Wappentieren der Deutschen füllen – oder am besten gleich das Flugfeld hier, hunderte und aberhunderte von Adlern in Reih und Glied, da, wo sonst die Flugzeuge scheppernd auf der metallenen Landebahn aufsetzen.
    Ricky hatte Bilder vom
Zentralflughafen
gesehen. Alle redeten von der Empfangshalle, die eher an eine Ruhmeshalle erinnerte. Sie redeten von den Baumaterialien. Das Neueste vom Neuesten – nur kühner eingesetzt. Und das Beste vom Besten – nur in gewaltigen Mengen. Zum Rollfeld hin öffnete sich das Gelände. Von oben, hieß es, hatte man einen fantastischen Blick. Und diesen Blick sollten irgendwann einmal alle genießen können, tausende von Berlinern. Sie alle sollten Zuschauer sein bei den fantastischen Paraden, die hier stattfinden würden, denn Sagebiels Flughafen war gleichzeitig ein
Luftstadion
, eine Manege für die militärischen Kunststückchen des Führers.
    So weit war es nie gekommen. 1943 war Schluss. Baustopp und totaler Krieg. Hier und da wurde noch gemurkelt, aber das war es. Listig verlegte das Luftfahrtministerium den Bau |180| kriegswichtiger Flugzeuge der Weserwerke hierher: Tempelhof verfügte über einen Gleisanschluss und sichere Tunnelanlagen. Die
Stukas,
hier gebaut, gingen direkt an die Front. Trotzdem wurde Tempelhof nicht bombardiert. Im Umkreis, da fielen über dreihundert Bomben, die das Gelände zerlöcherten, Sagebiels Traum aber hielt stand. Dann kamen die Russen. Es brannte hier und dort auf dem riesigen Areal. Dann übernahmen die Amerikaner das Gelände. Und richteten sich sofort häuslich ein. Mehr als fünftausend Büroräume! Ein eigenes Wasserwerk! Ein eigenes Heizwerk! Das allerdings war zu Bruch gegangen. In der Folgezeit mehrten sich die Gerüchte über den sagenhaften Bau. Geheime Bunker seien entdeckt worden mit brisantem Material. Ein Bordell sei eingerichtet oder, im Gegenteil, aufgelöst worden. Die Gerüchte konnten wuchern wie das Gestrüpp auf dem Rasenrollfeld, weil der Flughafen natürlich gesperrt worden war. Zutritt verboten! Eine Sperrzone mitten in der Stadt!
    Auch Ricky kannte den Flughafen nur aus den Wochenschauen und aus den Zeitungen. Und nun stand sie hier und wusste nicht weiter. Sie wusste nicht einmal mehr, warum sie eigentlich gekommen war. Hatte sie etwa gehofft, hier zufällig auf Chet zu treffen? Wohl kaum. Und

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