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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Jamies Seele - und wie sollte ich zwischen beiden meine Wahl treffen?
    Die herannahende Droschke preschte, ohne auf Dougals Zuruf zu achten, so nah an uns vorbei, daß Dougals Seidenstrümpfe und der Saum meines Kleides mit Schmutzwasser bespritzt wurden.
    Dougal nahm davon Abstand, einen Hagel gälischer Flüche loszulassen, drohte dem Wagen aber mit der Faust hinterher.
    »So, und was jetzt?« fragte er überflüssigerweise. Der schleimige Auswurf trieb auf der Pfütze zu meinen Füßen, in der sich graues Licht spiegelte. Ich glaubte, den kalten, zähflüssigen Schleim auf der Zunge zu spüren, streckte die Hand aus und griff nach Dougals Arm. Schwarze Flecken tanzten mir vor Augen.
    »Jetzt«, sagte ich, »wird mir schlecht.«

    Die Sonne war schon fast untergegangen, als ich in die Rue Tremoulins zurückkehrte. Mir zitterten die Knie, und es kostete mich große Anstrengung, die Treppe hinaufzusteigen. Ich begab mich schnurstracks ins Schlafgemach, um meinen Umhang abzulegen. Ob Jamie schon heimgekommen war?
    Offensichtlich. In der Tür blieb ich stehen und ließ den Blick durchs Zimmer schweifen. Mein Medizinkasten stand offen auf dem Tisch. Auf meiner Frisierkommode lag die Schere, die ich zum Zuschneiden von Verbänden benutzte. Ein ausgefallenes Stück, das Geschenk eines Messerschmieds, der zuweilen im Hopital des Anges arbeitete. Der vergoldete Griff war wie ein Storchenkopf geformt, die silbernen Schneiden bildeten den langen Schnabel. Sie leuchteten im Licht der untergehenden Sonne inmitten einer Wolke rotgoldner Locken.
    »Verdammter Mist«, keuchte ich. Er war tatsächlich hiergewesen, und jetzt war er fort. Genauso wie sein Schwert.
    Die üppigen, glänzenden Haarsträhnen lagen so, wie sie gefallen waren, auf der Kommode, dem Hocker und dem Boden. Ich nahm eine Locke von der Frisierkommode und spielte mit den feinen, weichen Haaren. Dabei spürte ich, wie mich kalte Panik ergriff - es fing zwischen meinen Schulterblättern an und lief prickelnd die Wirbelsäule hinunter. Ich erinnerte mich, wie mir Jamie am Springbrunnen hinter dem Haus der de Rohans von seinem ersten Duell in Paris erzählt hatte.
    »Mitten im Kampf hat sich das Band, das meine Haare hielt, gelöst, und der Wind blies mir die Haare ins Gesicht, so daß ich nur noch eine Gestalt im weißen Hemd vor mir sah, die hin und her flitzte wie eine Elritze.«
    Er wollte nicht riskieren, daß sich dergleichen wiederholte. Ich sah die Spuren, die er hinterlassen hatte - die Locke in meiner Hand fühlte sich noch weich und lebendig an -, und konnte mir seine kalte Entschlossenheit vorstellen, das Klappern der Schere, während er alles Weiche wegschnitt, das ihm die Sicht nehmen könnte. Nichts und niemand würde ihn daran hindern, Jonathan Randall zu töten.
    Niemand außer mir. Mit der Locke in der Hand ging ich zum Fenster und starrte hinaus, als hoffte ich, Jamie auf der Straße zu sehen. Aber die Rue Tremoulins lag still da, nichts rührte sich außer den wogenden Schatten der Pappeln.

    Die gedämpften Geräusche aus der Küche im Untergeschoß drangen an mein Ohr. Heute abend wurden keine Gäste erwartet, und das schlichte Mahl, das wir einzunehmen pflegten, wenn wir unter uns waren, erforderte keine großen Vorbereitungen.
    Ich setzte mich aufs Bett, schloß die Augen und verschränkte die Arme über der Rundung meines Bauches. Die Locke hielt ich umklammert, als könnte ich Jamie schützen, solange ich sie nicht losließ.
    Hatte ich rechtzeitig gehandelt? Waren die Polizisten vor Jamie bei Jack Randall aufgetaucht? Was, wenn sie gleichzeitig eingetroffen waren oder gerade in dem Augenblick, wo Jamie ihn zum Duell forderte? Ich rieb die Locke zwischen Daumen und Zeigefinger, so daß ein kleiner aufgefächerter Besen aus rotblonden Härchen entstand. Na ja, zumindest wären sie dann beide in Sicherheit. Im Gefängnis vielleicht, aber im Vergleich zu anderen Gefahren war das jetzt zweitrangig.
    Und wenn Jamie Randall als erster gefunden hatte? Ich blickte nach draußen. Die Dämmerung brach herein. Duelle wurden von jeher am frühen Morgen ausgetragen, aber ich wußte nicht, ob Jamie noch eine Nacht warten wollte. Vielleicht standen sie sich in diesem Augenblick schon gegenüber, an einem abgeschiedenen Ort, wo das Klirren von Stahl und der Schrei eines tödlich Verwundeten keine Aufmerksamkeit erregen würden.
    Denn ein Kampf auf Leben und Tod würde es sein. Was zwischen diesen beiden Männern stand, konnte nur durch den Tod bereinigt

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