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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Knie, und ich ließ mich in der Nähe eines Fensters in einen fauteuil sinken. Einmal näherte sich einer der allgegenwärtigen Diener und fragte, ob Madame Wein wünsche oder vielleicht Kekse? So höflich wie möglich winkte ich ab.
    Endlich blieb Jamie vor mir stehen, breitbeinig, die Füße fest in den Boden gestemmt. Erst als ich zu ihm aufschaute, begann er zu sprechen. Seine Miene war undurchdringlich, kein Zucken verriet
seine Erregung, aber die tiefen Falten um die Augen zeigten seine Anspannung.
    »Ein Jahr also«, war alles, was er sagte. Er wandte sich rasch ab und hatte sich schon ein Stück entfernt, als ich mich aus den Tiefen des Samtsessels herausgearbeitet hatte. Kaum war ich auf den Füßen, da stürmte er wieder an mir vorbei, erreichte mit drei Schritten das große Buntglasfenster und durchschlug es mit der rechten Hand.
    Das Fenster bestand aus Tausenden von farbigen Scheiben, die durch Bleistreifen miteinander verbunden waren. Es stellte das Urteil des Paris dar. Zwar erzitterte das ganze Fenster, aber es entstand nur ein unregelmäßiges Loch zu Füßen der Aphrodite, durch das die milde Frühlingsluft hereindrang.
    Jamie preßte beide Hände in den Bauch. Ein dunkelroter Fleck breitete sich auf der gerüschten Manschettte aus. Als ich auf ihn zuging, hastete er an mir vorbei und ging wortlos davon.
     
    Ich ließ mich so schwer in den Sessel fallen, daß eine kleine Staubwolke aus der Polsterung aufstieg. Erschlafft lag ich da, die Augen geschlossen, und spürte, wie mich der kühle Nachtwind streifte. An den Schläfen war mein Haar schweißnaß, und mein Puls raste.
    Würde er mir je verzeihen? Mein Herz zog sich zusammen, als ich mich an den Ausdruck in seinen Augen erinnerte - ich hatte ihn verraten. » Wie kannst du das von mir verlangen?« hatte er gefragt. »Du, die du weißt.. « Ja ich wußte es, und ich dachte, dieses Wissen könnte mich von Jamies Seite reißen, so wie ich von Frank weggerissen worden war.
    Aber ob Jamie mir nun verzeihen konnte oder nicht - ich selbst hätte es mir nie verziehen, wenn ich einen unschuldigen Menschen, einen Mann, den ich einmal geliebt hatte, dem Tod preisgegeben hätte.
    »Die Sünde des Vaters«, murmelte ich vor mich hin. »Der Sohn soll nicht tragen die Sünde des Vaters.«
    »Madame?«
    Ich schrak auf, öffnete die Augen und sah ein Zimmermädchen, das ebenso erschrocken vor mir zurückwich.
    »Madame, geht es Ihnen nicht gut? Soll ich...«
    »Nein«, sagte ich, so fest ich konnte. »Mir geht es gut. Ich möchte nur eine Weile hier sitzen bleiben. Bitte lassen Sie mich allein.«

    Das Mädchen kam dieser Aufforderung nur zu gern nach. »Oui, Madame!« nickte sie und huschte davon. Ausdruckslos starrte ich auf ein Bild an der gegenüberliegenden Wand - eine Liebesszene in einem Garten. Plötzlich fröstelnd zog ich den Umhang enger um mich und schloß wieder die Augen.
     
    Nach Mitternacht ging ich endlich ins Schlafgemach. Jamies saß vor einem kleinen Tisch und beobachtete zwei Goldaugen, die um die einzige Kerze flatterten, die den Raum erhellte. Ich ließ den Umhang zu Boden gleiten und ging zu ihm.
    »Rühr mich nicht an«, sagte er. »Geh ins Bett.« Seine Stimme klang geistesabwesend, aber ich blieb stehen.
    »Aber deine Hand...«, begann ich.
    »Spielt keine Rolle. Geh ins Bett«, wiederholte er.
    Die Knöchel der rechten Hand waren blutverschmiert, und die Spitzenmanschette war blutgetränkt, aber ich hätte nicht einmal dann gewagt, ihn zu berühren, wenn er ein Messer im Bauch gehabt hätte. Also überließ ich ihn dem Todestanz der Goldaugen und legte mich ins Bett.
    Gegen Morgen erwachte ich. Im dämmrigen Licht wurden die Umrisse der Möbel sichtbar. Durch die Flügeltür zum Vorraum sah ich Jamie, der immer noch am Tisch saß. Inzwischen war die Kerze heruntergebrannt, und die Goldaugen waren verschwunden. Er hatte den Kopf auf die Hände gestützt, die Finger in die erbarmungslos geschorenen Haare vergraben. Das Dämmerlicht schluckte alle Farben; selbst die Haare, die wie Flammen zwischen seinen Fingern standen, schienen aschgrau.
    Ich glitt aus dem Bett und ging auf ihn zu. Er drehte sich nicht um, wußte aber, daß ich da war. Als ich seine Hand berührte, ließ er sie auf den Tisch fallen, und sein Kopf sank gegen meine Brust. Er seufzte tief, als ich ihn streichelte, und ich merkte, wie die Spannung langsam von ihm abfiel. Dann strich ich ihm über Hals und Schultern und spürte durch das dünne Leinenhemd, wie kalt er war.

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