Die Geliehene Zeit
und reichte mir die Hand.
»Dann gebe Gott, daß wir nicht beide hinter Schloß und Riegel landen.«
Eine Stunde später traten wir auf die leere Straße vor dem commissariat de police hinaus. Ich hatte die Kutsche heimgeschickt, damit keiner unserer Bekannten sie vor dem Quai des Orfèvres stehen sah. Dougal bot mir seinen Arm, den ich gezwungenermaßen nahm. Hier war der Boden schlammig, und auf der kopfsteingepflasterten Straße fand man mit hochhackigen Schuhen wenig Halt.
»Les Diciples«, sagte ich, während wir am Seineufer Richtung Notre Dame entlangspazierten. »Glaubst du wirklich, der Comte de St. Germain könnte einer der Männer gewesen sein, die... die
uns an der Rue du Faubourg-St.-Honoré entgegentraten?« Ich begann vor Erschöpfung - und vor Hunger - zu zittern; seit dem Frühstück hatte ich nichts zu mir genommen, und das machte sich jetzt bemerkbar. Das Verhör bei der Polizei hatte ich nur mit äußerster Selbstbeherrschung durchgestanden. Jetzt brauchte ich mein Hirn nicht mehr anzustrengen, daher konnte ich auch nicht mehr denken.
Dougals Arm unter meiner Hand fühlte sich hart an, aber ich konnte nicht zu ihm aufsehen. Ich brauchte meine ganze Aufmerksamkeit, um nicht hinzufallen. Wir waren in die Rue Elise abgebogen; hier glänzte das Kopfsteinpflaster feucht und war mit allem möglichen Unrat verschmutzt. Ein Dienstmann, der eine Kiste schleppte, blieb vor uns stehen, um sich lautstark auszuhusten. Der grünliche Auswurf blieb an einem Stein zu meinen Füßen kleben und glitt schließlich in eine kleine Pfütze.
»Mmmpf.« Mit nachdenklich gerunzelter Stirn sah sich Dougal in der Straße nach einer Droschke um. »Kann ich nicht sagen. Von dem Mann habe ich Schlimmeres als das gehört, aber ich hatte noch nicht die Ehre, ihm zu begegnen.« Er sah auf mich hinunter.
»Bis jetzt hast du dich gut geschlagen«, meinte er. »Es wird keine Stunde dauern, bis Jack Randall in der Bastille festsitzt. Aber früher oder später müssen sie ihn wieder laufenlassen, und ich möchte wetten, daß sich Jamies Zorn in der Zwischenzeit nicht gerade abkühlt. Willst du, daß ich mit ihm rede - ihn überzeuge, keinen Unsinn zu machen?«
»Nein! Um Gottes willen, halt dich da raus!« Das Poltern von Wagenrädern auf dem Pflaster war laut, aber meine Stimme übertönte den Lärm, so daß Dougal überrascht die Brauen hochzog.
»In Ordnung«, sagte er nachsichtig. »Dann überlasse ich ihn dir. Er ist stur wie ein Stein... aber ich nehme an, du hast deine Methoden, nicht?« Er warf mir einen Seitenblick zu und grinste durchtrieben.
»Ich schaffe das schon.« Ja, ich würde, ich mußte es schaffen. Alles, was ich Dougal erzählt hatte, war die reine Wahrheit. Und doch so weit von der Wahrheit entfernt. Denn ich hätte Charles Stuart und seinen Vater mit Freuden zur Hölle geschickt. Ich hätte jede Hoffnung, ihn von seiner Torheit abzuhalten, geopfert, ja sogar Jamies Verhaftung riskiert, nur um die Wunde zu heilen, die Randalls Wiederauferstehung in Jamies Seele geschlagen hatte. Nur
allzugern hätte ich ihm dabei geholfen, Randall zu töten, doch etwas hielt mich davon ab. Eine Erwägung, die schwerer wog als Jamies Stolz, als seine männliche Würde, als sein Seelenfrieden. Frank.
Dieser eine Gedanke hatte mich den ganzen Tag über aufrechterhalten, und zwar über den Punkt hinaus, an dem der Zusammenbruch eine Erlösung gewesen wäre. Seit Monaten hatte ich angenommen, Randall sei kinderlos gestorben, und um Franks Leben gefürchtet. Aber während dieser Zeit hatte mich der Anblick des schlichten Goldrings an meiner linken Hand getröstet.
Das Gegenstück zu Jamies Silberring an meiner Rechten war ein Talisman in den dunkelsten Stunden der Nacht, wenn nach den Träumen Zweifel kamen. Da ich Franks Ring noch trug, würde der Mann, der ihn mir gegeben hatte, leben. Das hatte ich mir tausendmal gesagt. Auch wenn ich nicht wußte, wie ein Mann, der kinderlos starb, eine Abstammungslinie begründen konnte, die zu Frank führte - der Ring war da, also würde Frank leben.
Jetzt wußte ich, warum der Ring noch an meiner Hand glänzte, das Metall ebenso kalt wie meine Hand. Randall lebte, konnte immer noch heiraten und ein Kind zeugen, das die Linie fortführte. Wenn Jamie ihn nicht vorher tötete.
Für den Augenblick hatte ich alles getan, was in meinen Kräften stand, aber die Tatsache, mit der ich im Korridor des herzoglichen Hauses konfrontiert wurde, blieb bestehen. Der Preis für Franks Leben war
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