Die Geliehene Zeit
versuchte, sich meiner und des mir als Erbe zustehenden Besitzes zu bemächtigen. Falls - nein, ich korrigierte mich -, wenn Colum starb oder handlungsunfähig wurde, wäre Dougal innerhalb einer Woche das Oberhaupt des MacKenzie-Clans. Und wenn Charles Stuart die Unterstützung fand, die er suchte, würde Dougal zur Stelle sein. Schließlich besaß er Erfahrung als einflußreicher Mann hinter dem Thron.
Nachdenklich nippte ich an meinem Glas. Colum hatte Geschäftsinteressen in Frankreich; Wein und Nutzholz vor allen. Zweifellos war dies der Vorwand für Dougals Besuch in Paris, nach außen hin vielleicht sogar der Hauptgrund. Aber er hatte noch andere Motive, da war ich mir sicher. Und die Anwesenheit von Prinz Charles Edward Stuart war bestimmt eines davon.
Eines mußte man Dougal MacKenzie lassen: Eine Begegnung mit ihm regte die Geistestätigkeit an-es war einfach notwendig, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was er im Augenblick tatsächlich im Schilde führte. Dank seiner anregenden Gegenwart und einem herzhaften Schluck portugiesischen Weinbrands kam mir eine glorreiche Idee.
»Wie auch immer, ich bin froh, daß du jetzt hier bist«, bemerkte ich und stellte mein leeres Glas auf dem Tablett ab.
»Tatsächlich?« Ungläubig zog er die dichten dunklen Brauen hoch.
»Ja.« Ich stand auf und deutete in die Halle. »Hol mir meinen Mantel, während ich mein Mieder zuschnüre. Ich möchte, daß du mich auf das commissariat de police begleitest.«
Als ich sah, wie seine Kinnlade herunterklappte, flackerte Hoffnung in mir auf. Wenn es mir gelungen war, Dougal MacKenzie zu verblüffen, dann konnte ich doch gewiß auch ein Duell verhindern?
»Willst du mir vielleicht verraten, was du vorhast?« erkundigte sich Dougal, als die Kutsche um den Cirque du Mireille holperte und knapp einer Kalesche und einem Karren voll Kürbissen auswich.
»Nein«, beschied ich ihm. »Aber vermutlich läßt es sich nicht vermeiden. Wußtest du, daß Jack Randall noch lebt?«
»Ich hatte nicht gehört, daß er tot ist«, erklärte Dougal gelassen.
Ich wurde stutzig. Aber natürlich hatte er recht. Wir hatten Randall nur für tot gehalten, weil Sir Marcus MacRannoch den zu Tode getrampelten Burschen Randalls für den Hauptmann gehalten hatte. Natürlich hatte sich die Nachricht von Randalls Tod nicht in den Highlands verbreitet, da er ja noch lebte. Ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen.
»Er ist nicht tot«, sagte ich, »sondern in Paris.«
»In Paris?« Das interessierte ihn. Er zog die Brauen hoch, und beim nächsten Gedanken riß er die Augen auf.
»Wo ist Jamie?« fragte er scharf.
Ich freute mich, daß er den wesentlichen Punkt sofort erfaßt hatte. Zwar hatte er keine Ahnung, was sich zwischen Jamie und Randall abgespielt hatte - das würde außer Jamie, Randall und bis zu einem gewissen Grade auch mir niemand je wissen -, aber er wußte mehr als genug über Randall, um sich klarzumachen, was Jamies erster Impuls sein würde, wenn er dem Mann hier außerhalb der schützenden Grenzen Englands begegnete.
»Ich weiß nicht«, entgegnete ich und sah aus dem Fenster. Wir fuhren an Les Halles vorbei, und derber Fischgeruch stieg mir in die Nase. Ich zog ein parfümiertes Taschentuch heraus, um mir damit Nase und Mund zu bedecken.
»Wir haben Randall heute zufällig beim Herzog von Sandringham getroffen. Jamie hat mich in der Kutsche nach Hause geschickt, und seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen.«
Dougal ignorierte sowohl den Gestank als auch die heiseren Rufe der Fischweiber, die ihre Waren anpriesen. Er runzelte die Stirn.
»Er wird den Mann töten wollen.«
Ich schüttelte den Kopf und erklärte, daß Jamie sein Schwert nicht bei sich hatte.
»Ich kann nicht zulassen, daß es zu einem Duell kommt.«
Ich ließ das Taschentuch fallen, damit er mich besser verstand. »Auf gar keinen Fall!«
Dougal nickte geistesabwesend.
»Aye, das wäre gefährlich. Natürlich könnte es der Junge ohne weiteres mit Randall aufnehmen - wie du weißt, habe ich ihn unterrichtet«, fügte er etwas selbstgefällig hinzu, »aber die Strafe, die auf Duellieren steht...«
»Du hast es erfaßt«, sagte ich.
»Gut«, sagte er bedächtig, »aber warum die Polizei? Du willst den Jungen doch nicht im voraus einsperren lassen, oder? Deinen eigenen Mann?«
»Nicht Jamie«, erklärte ich, »Randall.«
Dougal verzog das Gesicht zu einem breiten Grinsen, das nicht frei von Skepsis war.
»Ach ja? Und wie willst du das
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