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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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»Hilfst du mir auf?«
    Es war ein schwieriges Unterfangen, einen Mann mit einem Bein zwei Treppen hochzutragen, aber schließlich war es geschafft. Vor der Schlafzimmertür überließ Jamie Ian seiner Schwester. Als er sich umdrehte, sagte Ian schnell und leise etwas auf gälisch zu ihm. Ich beherrschte diese Sprache noch immer nicht gut, aber ich glaube, er sagte: »Mach’s gut, Bruder.«
    Jamie drehte sich um und lächelte ihn an; seine Augen leuchteten sanft im Schein des Kerzenlichts.
    »Du auch, mo brathair.«
    Ich folgte Jamie den Flur entlang zu unserem Zimmer. An seiner Haltung sah ich, daß er sehr müde war, doch ich wollte ihm vor dem Einschlafen noch ein paar Fragen stellen.
    »Ein paar blaue Flecken hie und da«, hatte Ian gesagt, um Jenny zu beschwichtigen. So war es auch. Hie und da. Er hatte Verletzungen im Gesicht und am Bein, doch hatte ich auch die dunklen Flecken an seinem Hals bemerkt. Der Maulwurf mochte Ian als Eindringling und Störenfried betrachtet haben, aber ich konnte mir trotzdem nicht vorstellen, daß er versucht hatte, ihn deswegen zu erdrosseln.
     
    Es stellte sich heraus, daß Jamie gar nicht sofort schlafen wollte.
    »Ja, die Liebe wächst, wenn man sich eine Zeitlang nicht sieht«, sagte ich. Das Bett, das mir letzte Nacht so groß erschienen war, reichte jetzt kaum aus für uns beide.
    »Hmm?« erwiderte er zufrieden und mit halb geschlossenen
Augen. »Ja, die Liebe? Aye, die auch. O Gott, mach weiter, das tut so gut.«
    »Keine Sorge, ich hör’ schon nicht auf«, versicherte ich ihm. »Laß mich nur die Kerze ausmachen.« Ich stand auf und blies sie aus; die Fensterläden waren offen, und es drang genügend Licht vom Schneehimmel draußen herein. Ich konnte Jamie genau erkennen, wie er entspannt unter der Decke lag, die Arme locker neben dem Körper. Ich legte mich wieder neben ihn und massierte weiter seine Finger und seine Handflächen.
    Er seufzte tief, ja er stöhnte beinahe, als ich mit meinem Daumen die Innenfläche seiner Hand mit festen kreisförmigen Bewegungen massierte. Seine Hände, die sich durch das stundenlange Festhalten der Pferdezügel verkrampft hatten, wurden warm und entspannten sich langsam. Im Haus war kein Laut zu hören, das Zimmer war kalt, nur das Bett wohlig warm. Ich genoß die Wärme seines Körpers neben mir, seine Nähe, die Berührung, die nichts Forderndes an sich hatte. Zu gegebener Zeit konnte aus dieser Berührung mehr werden. Wir hatten Winter, und die Nächte waren lang. Im Augenblick machte es mich glücklich, ihn hier bei mir zu haben, einfach mit ihm zusammenzusein.
    »Jamie«, sagte ich nach einer Weile, »wer hat Ian verletzt?«
    Er hielt die Augen geschlossen, seufzte jedoch tief, bevor er antwortete. Meine Frage wehrte er nicht ab; er hatte sie erwartet.
    »Ich«, sagte er.
    »Was?« Ich ließ vor Schreck seine Hand fallen. Er ballte die Hand zur Faust, öffnete sie wieder und bewegte die Finger. Dann legte er seine linke Hand auf die Decke neben sich und zeigte mir die Fingerknöchel, die durch den Schlag in Ians Gesicht etwas angeschwollen waren.
    »Warum?« fragte ich entsetzt. Ich hatte zwischen Jamie und Ian etwas Neues gespürt, eine Gereiztheit, die jedoch keine Feindseligkeit war. Es war mir unerklärlich, was Jamie dazu veranlaßt haben könnte, Ian zu schlagen; sein Schwager stand ihm fast so nahe wie seine Schwester Jenny.
    Jamie hatte die Augen geöffnet, blickte mich aber nicht an, sondern besah sich statt dessen seine Fingerknöchel. Abgesehen von der leichten Schwellung der Hand hatte Jamie keine Spuren einer tätlichen Auseinandersetzung davongetragen; offensichtlich hatte Ian nicht zurückgeschlagen.

    »Ian ist schon zu lange verheiratet«, erwiderte er abwehrend.
    »Ich glaube eher, du hast einen Sonnenstich«, gab ich zurück und starrte ihn verständnislos an. »Nur scheint keine Sonne. Hast du Fieber?«
    »Nein«, sagte er und wich zurück, als ich versuchte, seine Stirn zu befühlen. »Nein, es ist nur - hör auf, Sassenach, mir fehlt nichts.« Er preßte die Lippen zusammen, doch dann gab er nach und erzählte mir die ganze Geschichte.
    Ian hatte sich tatsächlich das Holzbein gebrochen, als er unweit von Broch Mordha in ein Maulwurfsloch getreten war.
    »Es ging schon auf Abend zu - wir hatten viel im Dorf zu erledigen gehabt -, und es schneite. Ich sah, daß sein Bein ihm starke Schmerzen verursachte - auch wenn er behauptete, er könne reiten. In der Nähe befanden sich ein paar Katen, also half ich ihm

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