Die Geliehene Zeit
Hände auf den Rücken, riß mir den Gürtel herunter und fesselte damit meine Hände. Er nahm den Umhang, den Ross ihm reichte, legte ihn mir mit einem Schwung um die Schultern und band ihn sorgfältig zu. Schließlich trat er einen Schritt zurück, verbeugte sich ironisch vor mir und wandte sich an den Gefangenen.
»Du hast mein Wort, daß die Dame vor meinen Annäherungsversuchen sicher ist«, sagte er. Das Zittern in seiner Stimme hätte auf Zorn oder enttäuschte sinnliche Begierde zurückgeführt werden können. Ich erkannte darin jedoch einen gewaltsam unterdrückten Lachreiz. Ich hätte ihn umbringen können.
Mit versteinertem Gesicht erteilte der Junge die gewünschten Auskünfte.
Er hieß William Grey und war der zweite Sohn des Viscount Melton. Mit einer Truppe von zweihundert Mann befand er sich auf dem Weg nach Dunbar, um sich dort General Copes Armee anzuschließen. Seine Truppe lagerte im Augenblick etwa fünf Kilometer weiter westlich. Er, William, hatte den Wald durchstreift und dabei unser Feuer entdeckt. Nein, niemand hatte ihn begleitet. Ja, die Truppe war schwer bewaffnet, mit sechzehn Schnellfeuerkanonen und zwei Mörsern. Die meisten Soldaten seiner Truppe waren mit Musketen ausgerüstet, und eine dreißig Mann starke Kompanie war beritten.
Obwohl dem Jungen die Fragen und die Schmerzen zusetzten, weigerte er sich, Platz zu nehmen. Statt dessen lehnte er sich gegen einen Baum und barg seinen Ellbogen in der linken Hand.
Das Verhör dauerte fast eine Stunde und drehte sich immer wieder um die gleichen Einzelheiten, um die Klärung von Widersprüchen und um Punkte, die der Junge offensichtlich umgehen wollte. Als Jamie endlich zufrieden war, seufzte er tief auf und wandte sich von dem Jungen ab, der sich im schwankenden Schatten der Eiche erschöpft niederließ. Wortlos streckte Jamie die Hand aus, und Murtagh, der wie gewöhnlich seine Wünsche erriet, reichte ihm eine Pistole.
Dann trat Jamie wieder vor den Gefangenen und tat so, als konzentrierte er sich darauf, die Waffe zu prüfen und zu laden. »Kopf oder Herz?« fragte er dann beiläufig.
»Was?« Dem Jungen blieb der Mund offenstehen.
»Ich werde dich jetzt erschießen«, erklärte ihm Jamie geduldig. »Spitzel werden gewöhnlich gehängt, aber in Anbetracht deiner Ritterlichkeit bin ich bereit, dir einen schnellen Tod zu gewähren. Möchtest du die Kugel lieber in den Kopf oder ins Herz?«
Der Junge richtete sich auf und straffte die Schultern. »Oh, ja, natürlich.« Er fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen und schluckte. »Ich denke... ins - ins Herz.« Nach einer Pause fügte er hinzu: »Danke.« Er hob das Kinn und kniff die weichen, noch kindlichen Lippen zusammen.
Jamie entsicherte die Waffe mit einem Klicken, das in der nächtlichen Stille unter den Eichenbäumen nachhallte.
»Warten Sie!« rief der Gefangene. Jamie blickte ihn forschend an, die Pistole auf seine schmale Brust gerichtet.
»Welche Sicherheit habe ich, daß die Lady nach... nach meinem Tod nicht belästigt wird?« fragte er und blickte herausfordernd in die Runde. Seine gesunde Hand war zur Faust geballt, doch sie zitterte. Ross ließ ein Kichern hören, tat aber dann geschickt so, als ob er geniest hätte.
Jamie ließ die Pistole sinken. Mit eiserner Selbstbeherrschung setzte er eine Miene feierlichen Ernstes auf.
»Nun«, sagte er mit breitem schottischem Akzent, »ich habe dir mein Wort gegeben, obwohl ich natürlich einsehe, daß es dir schwerfällt, einer...«, seine Lippen zitterten unwillkürlich, »einer schottischen Memme zu glauben. Vielleicht kannst du aber die Zusicherung der Dame selbst akzeptieren.« Mit fragend gerunzelter Stirn blickte er in meine Richtung, und Kincaid eilte herbei, um das Taschentuch aus meinem Mund zu nehmen.
»Jamie!« rief ich wütend, sobald ich wieder sprechen konnte. »Das ist unerhört! Wie konntest du nur so etwas tun! Du... du...«
»Memme«, kam er mir zu Hilfe. »Oder Schakal, wenn dir das besser gefällt. Was meinst du, Murtagh, bin ich eine Memme oder ein Schakal?«
Murtagh verzog den Mund. »Ich sage, du bist keinen Pfifferling wert, wenn du dein Mädel ohne einen Dolch in der Hand losbindest.«
Jamie wandte sich wieder an den Jungen.»Ich muß mich bei meiner Frau entschuldigen, daß ich sie gezwungen habe, bei diesem Täuschungsmanöver mitzumachen. Ich versichere dir, daß es gegen ihren Willen geschah.« Reuig betrachtete er die Bißwunde an seiner Hand.
»Ihre Frau?« Entsetzt
Weitere Kostenlose Bücher