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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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vorgestellt, dann entspannte sich die steife Atmosphäre.
    Ich wurde von Edelleuten aus dem Hochland umringt, die mich begrüßten, während Jamie mit einem Mann namens Graham sprach, der anscheinend Lovats Cousin war. Die Clansmänner betrachteten mich mit Zurückhaltung, aber sie waren alle liebenswürdig - mit einer Ausnahme.
    Der junge Simon, eine fünfzig Jahre jüngere Ausgabe seines Vaters, trat vor und beugte sich über meine Hand. Dann richtete er sich auf und betrachtete mich mit einem Ausdruck, den man kaum als höflich bezeichnen konnte.
    »Jamies Frau, hm?« fragte er. Er hatte die gleichen schrägstehenden Augen wie sein Vater und sein Neffe, doch sie waren nicht blau, sondern braun wie morastiges Wasser. »Dann darf ich Sie wohl Nichte nennen, nicht wahr?« Er war etwa in Jamies Alter, ein paar Jahre jünger als ich.
    »Haha«, machte ich höflich, als er über seine Bemerkung lachte.
Ich versuchte, meine Hand zurückzuziehen, aber er ließ sie nicht los. Statt dessen grinste er spöttisch und musterte mich erneut von Kopf bis Fuß.
    »Ich habe schon von Ihnen gehört, wissen Sie«, sagte er. »Sie sind in den Highlands berühmt, Mistress.«
    »Ach, wirklich? Wie schön.« Mit einem kräftigen Ruck versuchte ich ihm meine Hand zu entziehen, aber er hielt sie so fest, daß es weh tat.
    »Oh, aye. Ich habe gehört, Sie sind sehr beliebt bei den Männern, die Ihr Gemahl befehligt«, grinste er. »Man nennt Sie neo-geimnidh meala , habe ich gehört. Das heißt >Mistress Honiglippen‹«, übersetzte er, als er sah, daß ich mit dem gälischen Wort nichts anfangen konnte.
    »Tja, danke...«, begann ich, doch da hatte Jamie dem jungen Simon schon einen Kinnhaken verpaßt, daß dieser gegen einen Chippendaletisch fiel. Leckereien und Servierlöffel krachten laut scheppernd auf den polierten Boden.
    Er war gekleidet wie ein feiner Herr, besaß aber den Instinkt eines Raufbolds. Der junge Simon kam auf die Knie, die Fäuste geballt, und erstarrte in der Bewegung. Jamie stand über ihm, die Hände ebenfalls zur Faust geballt.
    »Nein«, sagte er ruhig, »sie kann nicht allzugut Gälisch. Und jetzt, da du das zur allgemeinen Zufriedenheit bewiesen hast, wirst du dich höflich bei meiner Frau entschuldigen, bevor ich dir die Zähne einschlage.« Der junge Simon sah Jamie mit finsterem Blick an, dann wanderte sein Blick zu seinem Vater, der, ungehalten über die Störung, kaum merklich mit dem Kopf nickte. Das im Nacken zusammengebundene struppige schwarze Haar des jungen Fraser hatte sich gelöst und hing ihm zottelig ins Gesicht. Er musterte Jamie argwöhnisch, doch in seinem Blick lagen auch Belustigung und Respekt. Mit dem Handrücken wischte er sich über den Mund und verbeugte sich, immer noch auf den Knien, bedächtig in meine Richtung.
    »Verzeihung, Mistress Fraser, ich bitte Sie um Entschuldigung, falls Sie sich durch meine Äußerung verletzt fühlen sollten.«
    Ich konnte als Antwort nur huldvoll nicken, bevor Jamie mich hinaus in den Korridor schob. Wir hatten die Tür am Ende des Korridors fast schon erreicht, bevor ich zu sprechen begann. Ich sah mich um, um sicherzugehen, daß wir nicht belauscht wurden.

    »Was um Himmels willen bedeutet neo-geimnidh meala ? « fragte ich dann und zog ihn am Ärmel, um ihn zu bremsen. Er sah mich an, als fiele ihm erst jetzt auf, daß ich neben ihm herging.
    »Hm? Ach, es heißt schon Honiglippen, das stimmt. Mehr oder weniger.«
    »Aber...«
    »Es bezieht sich nicht auf deinen Mund, Sassenach«, sagte Jamie trocken.
    »Wie, es...« Ich hielt inne, um zur Bibliothek zurückzukehren, aber Jamie packte mich fester am Arm.
    »Gack, gack, gack«, murmelte er mir ins Ohr. »Mach dir nichts draus, Sassenach. Sie wollten mich nur auf die Probe stellen. Es ist schon gut.«
    Ich wurde Lady Frances anvertraut, der Schwester des jungen Simon, während Jamie kampfesmutig in die Bibliothek zurückkehrte. Ich hoffte, daß er nicht noch mehr Verwandte zusammenschlagen würde. Die Frasers waren körperlich nicht so gut gebaut wie die MacKenzies, aber sie waren zäh und wachsam.
    Lady Frances war jung, vielleicht zweiundzwanzig, und sie betrachtete mich mit einer Art ängstlicher Faszination, als glaubte sie, mich unablässig mit Tee und Leckereien besänftigen zu müssen, damit ich mich nicht auf sie stürzte. Ich wiederum bemühte mich, so harmlos wie möglich zu erscheinen. Nach einer Weile hatte sich die Lage so weit entspannt, daß Frances zugeben konnte, noch nie eine

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