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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Engländerin gesehen zu haben. »Engländerinnen«, das entnahm ich ihren Worten, waren eine exotische und gefährliche Spezies.
    Ich achtete darauf, keine abrupten Bewegungen zu machen, und allmählich faßte sie so viel Zutrauen, daß sie es wagte, mir ihren Sohn vorzustellen, einen stämmigen dreijährigen Jungen, der sich aufgrund der unablässigen Wachsamkeit eines gestrengen Dienstmädchens in einem Zustand unnatürlicher Reinlichkeit befand.
    Ich erzählte Frances und ihrer jüngeren Schwester Aline gerade von Jenny und ihrer Familie, die sie nie gesehen hatten, als plötzlich draußen auf dem Korridor ein Krach und ein Schrei zu hören waren. Ich sprang auf, und als ich die Tür des Salons erreicht hatte, erblickte ich draußen auf den Steinfliesen ein zusammengekauertes Wesen, das versuchte, wieder auf die Beine zu kommen. Die schwere Tür zur Bibliothek stand offen, und der gedrungene alte Simon Fraser stand davor, bösartig wie ein Giftzwerg.

    »Es wird dir noch schlimmer ergehen, Mädel, wenn du deine Arbeit nicht besser machst«, sagte er. Seine Stimme klang nicht sonderlich bedrohlich; es war lediglich eine Feststellung. Die am Boden kauernde Gestalt hob den Kopf, und ich blickte in ein seltsam eckiges, hübsches Gesicht mit großen dunklen Augen und einem roten Fleck auf der Wange. Sie sah mich an, verzog aber keine Miene, sondern stand auf und ging, ohne ein Wort zu sagen. Sie war groß und äußerst dünn, und sie bewegte sich mit der seltsam plumpen Anmut eines Kranichs.
    Ich starrte den alten Simon an, der sich düster vor dem Kaminfeuer in der Bibliothek abhob. Er spürte meinen Blick und wandte sich zu mir um. Seine blauen Augen ruhten auf mir kalt wie Saphire.
    »Guten Abend, meine Liebe«, sagte er, schloß die Tür und ließ mich stehen.
    »Was war denn das?« fragte ich Frances, die jetzt hinter mir stand.
    »Ach, nichts«, erwiderte sie und fuhr sich mit der Zunge nervös über die Lippen. »Kommen Sie, meine Liebe.« Ich folgte ihr, beschloß jedoch, Jamie später zu fragen, was in der Bibliothek geschehen war.
     
    Wir waren in unserem Schlafzimmer angelangt, und Jamie entließ unseren kleinen Führer mit einem Klaps auf den Kopf.
    Ich sank aufs Bett und sah mich hilflos um.
    »So, und was machen wir nun?« fragte ich. Wir hatten das Abendessen ohne Zwischenfälle hinter uns gebracht, aber ich hatte Lovats forschenden Blick auf mir gespürt.
    Jamie zuckte die Schultern und zog sich das Hemd über den Kopf.
    »Wenn ich das bloß wüßte, Sassenach«, sagte er. »Sie haben mich nach der Stärke der Hochlandarmee gefragt, nach dem Zustand der Truppen, was ich von den Plänen Seiner Hoheit wüßte. Ich habe ihnen Auskunft erteilt. Und dann begann alles noch einmal von vorne. Mein Großvater kann sich nicht vorstellen, daß ihm jemand eine ehrliche Antwort gibt«, fügte er trocken hinzu. »Er glaubt, die anderen sind genauso unredlich wie er und haben tausend Gründe, etwas zu verheimlichen.«
    Er schüttelte den Kopf und warf das Hemd neben mich auf das Bett.
    »Er weiß nicht, ob das, was ich ihm über die Hochlandarmee erzähle, auch stimmt. Denn wenn ich will, daß er sich den Stuarts
anschließt, so meint er, würde ich die Dinge in einem besseren Licht erscheinen lassen. Andererseits, wenn mir egal ist, ob er die Stuarts unterstützt, dann könnte ich gut die Wahrheit sprechen. Er ist nicht bereit, sich in irgendeinerWeise festzulegen, ehe er nicht herausgefunden hat, wo ich stehe.«
    »Und wie will er das feststellen?« fragte ich skeptisch.
    »Er hat eine Wahrsagerin«, erwiderte er beiläufig, als ob dies zum selbstverständlichen Inventar einer Hochlandburg gehörte. Und das konnte durchaus sein.
    »Tatsächlich?« Ich setzte mich neugierig im Bett auf. »Die seltsame Frau, die er hinausgeworfen hat?«
    »Aye. Sie heißt Maisri, und sie hat von Geburt an das Zweite Gesicht. Aber sie konnte - oder wollte - ihm nichts sagen«, fügte er hinzu. »Es war allzu deutlich, daß sie etwas weiß, aber sie schüttelte nur den Kopf und sagte, sie sehe nichts. Da hat mein Großvater die Geduld verloren und sie geschlagen.«
    »Der abscheuliche alte Kerl«, sagte ich empört.
    »Na ja, er ist nicht gerade ein Muster an Höflichkeit«, nickte Jamie.
    Er schenkte Wasser aus dem Krug in die Schüssel und spritzte sich das Gesicht naß. Als ich einen Schrei ausstieß, sah er - mit triefendem Gesicht - erstaunt auf.
    »Hm?«
    »Dein Bauch...«, sagte ich und deutete auf ihn. Auf der Haut zwischen

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