Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
Vom Netzwerk:
hörten zu, während die Glut der untergehenden Sonne auf den Zelten verblaßte. Die hohen, wehklagenden Töne der Dudelsackmelodien riefen die Schatten vom Moor herbei, und wenn der Pfeifer ging, kam die Nacht.
    Ob morgens oder abends, Labhriunn MacIan spielte mit geschlossenen Augen, überquerte sicheren Schrittes den Hof, den Ellbogen fest gegen den Sack gedrückt, die beweglichen Finger auf den Grifflöchern der Melodiepfeifen. Trotz der Kälte saß ich abends manchmal draußen und ließ die schmerzlichen Klänge in mein Herz dringen. Denn MacIan legte seine Seele in die Musik.
    Es gibt kleine, irische Sackpfeifen, mit denen man im Haus musiziert, und die großen, schottischen Dudelsäcke, mit denen man im Freien das Signal zum Wecken gibt oder die Krieger im Kampf anfeuert, und MacIan spielte diesen großen Dudelsack.
    Eines Abends wartete ich, bis er die restliche Luft mit einem ersterbenden Ton aus dem Windsack gepreßt hatte, und ging an seiner Seite durch das Tor in die Burg zurück.

    »Guten Abend, Mistress«, sagte MacIan. Seine Stimme war sanft, und seine Augen waren weich vom Zauber seiner Musik.
    »Guten Abend, MacIan«, erwiderte ich seinen Gruß. »Ich habe mich gefragt, warum Sie mit geschlossenen Augen spielen.«
    Lächelnd kratzte er sich am Kopf, antwortete mir aber bereitwillig.
    »Ich glaube, weil es mich mein Großvater so gelehrt hat, Mistress. Er war blind. Beim Spielen sehe ich ihn immer vor mir, wie er die Küste entlangwandert, sein langer Bart flattert im Wind, und die blinden Augen sind zum Schutz vor dem beißenden Sand geschlossen, und er lauscht dem Echo seines Dudelsacks, das von den Klippen widerhallt, damit er weiß, wie weit er auf seiner Wanderung gekommen ist.«
    »Wenn Sie ihn vor sich sehen, dann spielen Sie wie er für die Klippen und das Meer? Woher kommen Sie, MacIan?« fragte ich. Seine Sprache war noch breiter und reicher an Zischlauten als die der übrigen Hochländer.
    »Von den Shetlands, Mistress«, erwiderte er. »Von weit her.« Er lächelte und verneigte sich kurz, als wir das Gästequartier erreichten, in dem ich wohnte. »Aber ich glaube, Sie kommen von noch weiter her, Mistress.«
    »Das ist wahr«, sagte ich. »Gute Nacht, MacIan.«
     
    Einige Tage später fragte ich mich, ob ihm sein Talent, mit geschlossenen Augen zu spielen, hier in der Dunkelheit half. Eine große Gruppe marschierender Männer verursacht Lärm, ganz gleich, wie leise sie sich bewegt, doch mir schien, daß diese Geräusche im Heulen des auffrischenden Windes untergingen. Die Nacht war mondlos, aber helle Wolken zogen über den Himmel, und ein eisiger Schneeregen fiel.
    Die Männer der Hochlandarmee hatten sich in Gruppen zu zehn oder zwanzig über das Gelände verteilt und bewegten sich stoßweise vorwärts, als wüchsen hier und da plötzlich kleine Hügel aus dem Boden. Meine Neuigkeiten waren von anderer Seite bestätigt worden: Ewan Camerons Spione hatten ebenfalls von Hawleys Truppenbewegungen berichtet, und die schottische Armee hatte sich nun in Marsch gesetzt, um ihm südlich von Stirling entgegenzutreten.
    Jamie hatte es aufgegeben, mich zur Rückkehr zu bewegen. Ich
hatte versprochen, nicht im Weg zu sein, aber wenn es zum Kampf kam, mußten sich die Armeeärzte bereit halten. Jamie saß auf Donas, und er war selbst in der Finsternis als Schatten erkennbar. Als er den Arm hob, lösten sich zwei dunkle Gestalten aus der Gruppe der Marschierenden und traten an seinen Steigbügel heran. Die Männer besprachen etwas im Flüsterton, dann richtete sich Jamie im Sattel auf und drehte sich zu mir um.
    »Die Späher sagen, daß wir entdeckt worden sind. Englische Wachen sind nach Callendar House geeilt, um General Hawley zu warnen. Wir werden nicht länger warten; ich nehme meine Männer und ziehe an Dougals Truppen vorbei auf die andere Seite des Falkirk Hill. Wir fallen dann von hinten ein, während die MacKenzies von Westen kommen. Auf dem Berg zu deiner Linken, vielleicht eine Viertelmeile von hier entfernt, steht eine kleine Kirche. Dort wartest du auf mich, Sassenach. Reite jetzt dorthin und bleibe dort.« In der Dunkelheit tastete er nach meinem Arm und drückte ihn.
    »Ich komme zu dir, wenn ich kann, und wenn nicht, schicke ich Murtagh. Falls die Sache schiefläuft, geh in die Kirche und suche dort Asyl. Etwas Besseres fällt mir nicht ein.«
    »Mach dir um mich keine Sorgen.« Meine Lippen waren kalt, und ich hoffte, daß meine Stimme nicht so unsicher klang, wie ich mich

Weitere Kostenlose Bücher