Die Geliehene Zeit
fühlte. Ich schluckte das »Sei vorsichtig« hinunter, das mir auf der Zunge lag, und begnügte mich damit, ihn zu berühren. Seine Wange fühlte sich kalt wie Metall an.
Ich lenkte mein Pferd nach links, und da ich nun von nachrückenden Männern umgeben war, mußte ich sorgfältig auf meinen Weg achten. Das Gedränge beunruhigte den Wallach, er warf den Kopf zurück, schnaubte und tänzelte nervös. Wie Jamie es mir gezeigt hatte, hielt ich die Zügel kurz, als die Steigung kam. Einmal blickte ich zurück, aber Jamie war schon in der Nacht verschwunden, und ich brauchte meine ganze Aufmerksamkeit, um in der Dunkelheit die Kapelle zu finden.
Es handelte sich um ein kleines, reetgedecktes Steingebäude, das sich auf der Kuppe in eine Bodensenke duckte wie ein ängstliches Tier. Genauso fühlte ich mich auch. Von hier oben sah man die Wachfeuer der Engländer durch den Schneeregen funkeln, und aus der Ferne hörte ich Stimmen - ob Schotten oder Engländer, konnte ich nicht sagen.
Dann setzten die Dudelsäcke ein, ein dünnes, unheimliches Geheul. Schrill und gespenstisch erklangen ihre Töne an verschiedenen Stellen auf dem Hügel. Ich stellte mir vor, wie die Spieler die Windsäcke aufbliesen - der Brustkorb, der sich in hastigen Atemzügen weitete, blaue Lippen, eng um das Mundstück geschlossen, klamme Finger, die versuchten, harmonische Klänge zu erzeugen.
Als der Wind drehte und mir der Schneeregen entgegenschlug, wurden die Rufe lauter. Die Kapelle hatte keinen Vorbau, und auf dem Berg standen keine Bäume, die Schutz vor dem Wind gewährt hätten. Mein Pferd drehte sich um und senkte den Kopf gegen den Sturm, so daß mir seine eisverkrustete Mähne ins Gesicht schlug.
Die Kirche bot nicht nur vor den Engländern Zuflucht, sondern auch vor der Gewalt der Elemente. Ich stieß die Tür auf und zog das Pferd am Zügel hinter mir hinein.
Drinnen war es stockfinster. Das einzige, mit Öltuch bespannte Fenster zeichnete sich als milchiger Fleck über dem Altar ab. Im Vergleich zu draußen war es warm, aber es war stickig und roch nach Schweiß. Es gab keine Bänke, die das Pferd hätte umstoßen können. Beunruhigt von dem durchdringenden Geruch nach Menschen, blieb das Pferd stehen und schnaubte. Vorsichtshalber behielt ich es im Auge, als ich wieder zur Tür ging und den Kopf hinausstreckte.
Was auf dem Falkirk Hill geschah, konnte man nur ahnen. Hie und da sah man Geschützfeuer im Dunkeln aufblitzen. Von ferne hörte ich Waffen klirren und dann und wann eine dumpfe Explosion. Auch die Schreie von Verwundeten drangen an mein Ohr, hoch wie das Pfeifen eines Dudelsacks, ganz anders als das gälische Kriegsgeschrei. Hin und wieder schlug der Wind um, und die Geräusche der Schlacht verstummten.
Die Schlacht von Prestonpans hatte ich nicht beobachten können. Da ich nur die schwerfälligen Bewegungen gewaltiger Heere kannte, die an Panzer und Schützengräben gebunden waren, ahnte ich nicht, wie schnell es in einer offenen Feldschlacht mit Nahkampf und kleinen, leichten Waffen zu einer Entscheidung kommen konnte.
Die erste Warnung, die ich vernahm, war ein Schrei aus nächster Nähe. »Tulach Ard!« Im Tosen des Windes hatte ich nicht gehört, wie sie den Hügel heraufgekommen waren. » Tulach Ard! « Das war der Schlachtruf der MacKenzies; einige von Dougals Leuten waren
in Richtung meiner Zufluchtsstätte gedrängt worden. Ich zog mich zurück, ließ die Tür aber einen Spalt offen, so daß ich hinausspähen konnte.
Das Häuflein Männer stürmte auf die Hügelkuppe zu, eindeutig Hochländer. Plaids, Bärte und Haare flatterten im Wind, so daß sie wie schwarze Wolken aussahen, die vom Wind den baumlosen Hang hinaufgetrieben wurden.
Ich sprang zurück in die Kirche, als der erste von ihnen durch die Tür stürmte. In der Dunkelheit konnte ich sein Gesicht nicht sehen, aber als er mit meinem Pferd zusammenstieß, erkannte ich seine Stimme.
»Herrgott!«
»Willie!« rief ich. »Willie Coulter!«
»Jesus, Maria und Josef! Wer ist da?«
Für eine Antwort fand ich keine Zeit, da die Tür abermals aufgestoßen wurde und zwei weitere schwarze Gestalten in den kleinen Kirchenraum drängten. Erzürnt über den Lärm, bäumte sich mein Pferd auf und wieherte, was entsetzte Schreie seitens der Eindringlinge zur Folge hatte. Offenbar hatten sie gedacht, das Gebäude sei leer.
Als noch mehr Männer eintraten und das Durcheinander größer wurde, gab ich es endgültig auf, das Pferd beruhigen zu wollen.
Weitere Kostenlose Bücher