Die gelöschte Welt
stolpert weiter und verschwindet.
Dann ist der Krieg vorbei. Ein Flackern, und das war's. Ich sehe ihn über das Lager rollen. Als er unseren improvisierten See erreicht, füllt sich das Wasser mit Leichen und verklumpt zu einer dicken roten Brühe. Der Schatten zieht weiter. Die Brühe bleibt da, glitschig, dunkel und verwesend. Sie löst sich ein wenig in wabernde Stücke auf, als frisches Wasser nachläuft, aber nicht schnell genug. Es dauert eine Weile, bis der See voll genug ist, um das blutige Chaos flussabwärts zu befördern. Ein nicht identifizierbarer Körperteil schwappt gegen mein Bein. Komischerweise hat Tucker Foyle nichts mehr abbekommen. Er wurde nicht getroffen, sondern hängt immer noch da drüben und stirbt. Ich werde wütend. Dann höre ich hinter mir das leise Stöhnen, das von Angst und Schrecken spricht – keine einzelne Stimme, sondern viele zugleich. Da kommt noch mehr. Ich drehe mich um und starre es böse an.
Der Himmel ist von einer bis zur anderen Seite dunkel, die Sonne ist verschwunden. Eine Welle bricht über uns herein, eine riesige schwarze Welle von diesem entsetzlichen Zeug. Von drinnen dringen die Geräusche eines Gemetzels heraus. Das hier ist kein Krieg, es ist eine Karikatur, ein Zerrbild vom Krieg. Ein Albtraum. Die Welle stürzt nicht herab. Ich blicke nach oben zum Wellenkamm. Als ich nach unten sehe, erkenne ich, dass sie das Lager nicht erreicht hat. Sie ist riesig. Dann bricht sie, hüllt uns in Schatten und schleudert uns in einen Krieg.
Es pfeift und knallt. Gleich darauf noch einmal. Der Lärm eines Querschlägers zieht über mir vorbei, dann ein Dröhnen wie von einem abfahrenden Lastwagen. Wir liegen alle am Boden. Die Erde bebt. Hundert Meter entfernt stirbt ein Mann am improvisierten Ofen. Es ist unser Pizzabäcker Jimmy Balene, aber seine Pizza wird jetzt wohl niemand mehr essen, weil man nicht mehr erkennen kann, wo die Tomatensoße aufhört und wo Jimmys Gehirn beginnt. Überall fliegt Dreck umher. Der Angriff ist da, die Leute sterben, aber es gibt keinen Feind, sondern nur Dunkelheit, Verwirrung und Tote. Es ist, als wäre es das Wetter. Die Vorhersage für heute: leichte Bewölkung, Nieselregen bis fünfzehn Uhr, danach Infraschallbestrahlung und Granateneinschläge, Nebel des Krieges, spätere Aufhellungen, sobald eine Hochdruckzone aus dem Grünen Sektor herüberzieht, die Senfgas und Mörsergeschosse mitführt. Vereinzelte Nahkämpfe. Freitag: heiter, gelegentliche Brandbomben. Das ist unmöglich, wir können gegen so etwas nicht kämpfen. Wir können nur fliehen.
Ich stelle fest, dass ich eine Aufgabe habe. Soldaten wie wir laufen nicht weg. Das haben wir uns in der Ausbildung abgewöhnt. Außerdem sind wir von den Verstärkungen abgeschnitten und wissen ohnehin nicht, wohin wir laufen sollten. Deshalb werden wir durchhalten, und deshalb werden wir sterben. Es sei denn, jemand sagte uns, dass wir es bleiben lassen sollen. Gonzo hat faktisch die Leitung des Lagers übernommen, und das ist ganz in Ordnung. Durch Akklamation hat er die Befugnis erhalten, Öfen zu bauen und Latrinen zu graben. Aber er darf nicht den Rückzug befehlen. Das kann nur ein einziger Mann tun. Als mir dies klar wird, marschiere ich sofort zu dem schäbigen kleinen Zelt, wo George Copsen in seiner sanften, mörderischen Katatonie sitzt und darauf wartet, dass ihn jemand ablöst, dass seine Vorgesetzten ihm befehlen, Addeh Katir zu verlassen, oder vielleicht auch darauf, dass Gott vorbeischaut und ihm sagt, alles sei in Ordnung. Unter normalen Umständen ist es von dort, wo wir sind, bis zum Stuhl des Generals ein ordentlicher Fußmarsch. Unter Feuer – selbst unter idiotischem, ungezieltem Feuer – ist es aber ein sehr weiter Weg. Ein unpersönlicher Bleiregen fällt herab – Niederschläge mit Kaliber fünfundvierzig. Ringsherum schreien Soldaten, weil sie unmögliche Verletzungen erlitten haben und nicht sterben können.
Leutnant Ben Carsville ist vor den Duschen auf einen Stapel Ersatzteile geklettert und schüttelt die Faust. Aus einem unerfindlichen Grund lebt er noch. Dann erkenne ich, dass sich Carsville mit so etwas auskennt. Er hat sein ganzes Leben in einer solchen Situation verbracht. Dies wirkt auf den Teil in ihm, der völlig von der Rolle ist, wie Sonnenlicht. Die Verletzten sind in halbwegs regelmäßigen Abständen auf dem Gelände verteilt, deshalb bleibt ihr Heulen allgegenwärtig. Immer noch ist kein Feind auszumachen, nur dieser verrückte feindselige
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