Die gelöschte Welt
Schütze.« Jim Hepsobah grinst wie ein Wikinger, man kann beinahe schon das Flugbenzin und die billigen Zigaretten riechen und Nand den Banditen schreien hören, als die brennenden Trümmer aus dem Himmel auf ihn herabregnen.
Leah will wissen, ob es eine wahre Geschichte sei oder wie viel daran wahr sei. Ich muss an die Evangelistin denken, und das erinnert mich wiederum daran, dass das Corvid's Field jener Flugplatz der UN ist, über den Elisabeth für ihre Zeitung geschrieben hat. Ob sie noch da ist? Ob sie nach Hause zurückgekehrt ist? Ob sie überhaupt noch lebt? Aber Elisabeth weiß nichts von Leah, und Leah weiß nichts von Elisabeth, und es gibt auch keinen Grund, daran etwas zu ändern, denn Elisabeth und ich waren nie etwas anderes als Freunde und Trainingspartner.
Jim Hepsobah will gerade Leahs Frage beantworten, als die Straße vor uns explodiert und die Windschutzscheibe Sprünge bekommt und zerbricht. Wir werden nicht nach vorn, sondern nach hinten geschleudert, weil Gonzo das Gaspedal durchtritt und unseren Wagen neben dem Krater vorbeilenkt. Er beschleunigt, damit wir es über die Trümmer am Straßenrand schaffen, und um den schleudernden, rutschenden Wagen besser beherrschen zu können, als wir den Asphalt oder Lehm oder was sie hier auch benutzen, verlassen. Ronnie Cheungs taktischer Fahrkurs zahlt sich nun aus. Wir versuchen, den Feind umzuwerfen, indem wir uns wie ein Schwarm verwirrter Thunfische durchs Gelände schlängeln. (Es ist schwer, sich Thunfische als Raubtiere vorzustellen, weil wir sie als Sushi essen, aber wenn Sie auf deren Speisekarte stehen, werden Sie rasch feststellen, dass sie böse Gegner sein können, und wenn sie Hunger haben, sind sie auch noch äußerst schnell.) Wir haben nur vier Fahrzeuge, darunter ist sogar ein Panzer, sodass unsere Bemühungen nicht unbedingt erfolgreich sind, aber unsere Gegner sind miese Schützen oder haben noch nie ein koordiniertes taktisches Fahren gesehen. Sie schießen dorthin, wo wir sind, und nicht dorthin, wo wir sein werden – und verfehlen uns. Wir lassen sie rasch hinter uns.
Zwanzig Minuten später: Drei Gestalten neben einer Barrikade aus Holz und Schutt. Gonzo bremst kaum ab. Er blendet die Scheinwerfer auf, ich erkenne zwei Leute mit einem Granatwerfer (sie zielen nicht direkt auf uns, aber sie zeigen uns, dass sie einen haben, und die Granaten dazu) und eine dritte Gestalt in einem zerfetzten Overall. Diese dritte Person hebt sich von den anderen ab. Sie ist groß und dünn und trägt einen orangefarbenen Anzug wie ein Gefangener und dazu eine Gasmaske. Die Gasmaske wirkt eigenartig, weil die Person damit aussieht, als hätte sie keinen Kopf. Die Person winkt, indem sie die Arme energisch überkreuzt und wieder ausbreitet. »Anhalten«, sagt die orangefarbene Person, oder vielleicht auch »Hilfe«. Oder auch: »Fahren Sie langsamer, damit wir Sie töten und Ihr Fahrzeug stehlen können.« Dann sind wir vorbei – Gonzo ist einfach mitten über die Barrikade gefahren, sie haben nicht auf uns geschossen. Heißt das, sie waren kein Teil der Bande, die die Straße vor uns gesprengt hat? Ich weiß es nicht. Ich frage Gonzo, aber er ist vollauf mit Lenken beschäftigt. Er hat jetzt genug von diesem Mist und fährt inzwischen mit hundert Sachen, was für eine Straße aus Lehm und Asphalt voller Schafkötel gar nicht so schlecht ist. Wir lassen die unheimliche, winkende Gestalt hinter uns, und dann fährt Gonzo noch schneller weiter, bis wir Corvid's Field erreichen.
Auf dem Tower weht noch traurig und gebleicht die UN-Flagge. Zwei Blauhelme bewachen das Tor und halten uns mit ihren Pistolen in Schach. Die Mauern sind voller Einschusslöcher, an einer Seite des Turms erkenne ich eine Art Schmierfleck, wo offenbar ein Sprengkörper explodiert ist. Sie haben den Tower zwar repariert, aber nicht neu gestrichen. Ansonsten hatten sie offenbar Glück, obwohl man von hier aus nicht den ganzen Flugplatz überblicken kann. Auf der Startbahn (gelobt sei der Herr!) stehen zwei ältere, aber noch flugfähige Frachtmaschinen. Sie verfügen zwar über keine Fenster, in ihnen sitzt man auch sicher nicht bequem, aber mit ihnen könnten wir immerhin alle unsere Leute evakuieren, falls wir die Erlaubnis bekommen.
Einer der Blauhelme kommt vorsichtig zu uns. Es ist ein tapferer kleiner Kerl, wahrscheinlich aus Puerto Rico abgeordnet. Es erfordert schon ein wenig Mut, das eigene Tor zu verlassen und sich einer gepanzerten Kolonne zu nähern, selbst
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