Die gelöschte Welt
Galaxis und das Dasein einer Gartenschnecke in der Renaissance zu erinnern. Diese Erinnerungen sollten jedoch mit dem größten Vorbehalt betrachtet werden.
Er erinnert sich noch an die orangefarbenen Hosen seiner Mutter. Sie bestanden aus elastischem Samt. Sie trug sie die ganze Zeit. Er erinnert sich an ihre gefärbten Haare und daran, wie übel ihm wurde, als er einmal daran lutschte. Er erinnert sich an seinen Vater, der nur einen Arm hatte, und er weiß noch, wie er mit einem Luftballon Fußball spielte. Der Ballon brauchte sehr lange, um irgendwo anzukommen, daher war das Spiel ein beständiger Wechsel zwischen Frustration und Entzücken.
Er erinnert sich an den Tag, als sie kamen und den Spielplatz mit speziellen gummiweichen Kacheln pflasterten, damit er sicherer würde. Sie gruben das Gras und den Schlamm um und ersetzten beides mit wissenschaftlich geprüftem Verbundmaterial, das die Kinder vor Knochenbrüchen und Prellungen schützen sollte. Er beobachtete die großen, gelangweilten Männer, die mit Füllmaterial und Stapeln der Spezialkacheln hin und her liefen. Sie lachten, machten Pause und tranken Tee, was er schrecklich fand, weil er wieder auf die Schaukel wollte. Sie bauten auch eine Sperre an die Schaukel, damit sie nicht mehr über einen bestimmten Winkel hinauskam. Danach mochte er den Spielplatz nicht mehr, weil es dort fast so war, wie drinnen zu spielen. Er hatte nicht mehr den richtigen Geruch, war eben und kontrolliert. Er wartete darauf, dass der neue Bodenbelag verwitterte und Risse bekam – wie der bei seinem Onkel. Aber es geschah nicht. Sein Vater erklärte ihm, der Belag sei biologisch und chemisch inert, worauf er wissen wollte, was ein »nerd« sei. Sein Vater fand das witzig.
Er erinnert sich, dass er Lisa Grusky geküsst hat. Sie schmeckte vor allem nach Rotz, weil sie beide erst neun waren. Außerdem schmeckte sie ein bisschen nach Mädchen, aber er wusste nicht, ob ihm das gefiel. Er kann sich auch erinnern, ihren Bruder Niall geküsst zu haben und wie er dafür Prügel bekam. Den Grund kannte er nicht, er versteht es immer noch nicht. Niall schmeckte genau wie Lisa, nur ohne Rotz und ohne den Mandarinengeschmack vom Lippengel. Danach bestand Lloyd Carsville darauf, dass sein Sohn die graue und blaue Kleidung eines Erwachsenen tragen müsse. Benedict war der bestgekleidete und unglücklichste Junge auf der Schule. Als er älter wurde, sah er damit jedoch sehr gut aus und fand heraus, dass die Sache auch ihre Vorzüge hatte. Mädchen hatten weiche Körperteile, die Jungen nicht besaßen, und er stellte fest, dass er sich für diese Körperteile interessierte. Sie wiederum flogen auf Ben Carsvilles engelhaftes Gesicht und sein distinguiertes Erscheinungsbild.
Er war ein guter Sportler. Er spielte Fußball und Hockey, er konnte auch Bogenschießen, Tennis und alles andere spielen. Jeder sagte, er sei ein hübscher Bursche und immer so gut gekleidet. Er war auch etwas hitzköpfig, drückte sich nie vor einer Prügelei und schloss rasch Freundschaften. Er war wie ein verdammter Grieche, sagte sein Onkel Frederick ein wenig bewundernd. Onkel Frederick arbeitete im Olivenölgeschäft oft mit Griechen zusammen. Die meisten Leute fanden das amüsant und rissen Witze über das organisierte Verbrechen. Onkel Frederick erklärte geduldig, die Mafia sei eine italienische Erfindung. Außerdem importierte er doch nur Olivenöl. Irgendjemand musste das doch tun.
Er erinnert sich an seine erste große Verführung; damit ist nicht sein erster Sex gemeint (das weiß er noch ganz genau, und es wirkte unerwartet trist), sondern seine erste Eroberung. Es war an seinem neunzehnten Geburtstag. Gabrielle Vasseli war bis über beide Ohren in ihn verliebt. Ben war bis über beide Ohren in ihre ältere Schwester Tita verliebt, die schon sechsundzwanzig war. Gabrielles Schwester fuhr sie mit dem Auto, und Ben richtete in den paar Sekunden, als er die Tür aufhielt, die geballte Kraft seines Charmes auf Tita.
»Danke, Miss Vasseli«, sagte Ben Carsville. »Wollen Sie nicht vielleicht hereinkommen?«
Tita Vasseli sah ihn an, und Ben Carsville erkannte in ihren Augen, an dem erstaunten Flackern und dem unwillkürlichen Schlucken, dass sie Ja sagen wollte. Ben war eine Ausnahmeerscheinung, ein außergewöhnlich schöner Mann. Gut aussehende Männer gibt es häufig, und auch schöne Frauen sind nicht selten. Männliche Schönheit, die das Stigma überwinden kann, das zwangsläufig mit ihr verbunden ist,
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