Die gelöschte Welt
kommt nur einmal unter Hunderttausenden vor. Tita Vasseli wollte diesen Burschen besitzen, in ihm baden, sich in ihm waschen und sich in seinem Glanz sonnen. Oder mindestens wollte sie ihn vögeln, wie er noch nie gevögelt worden war. Sie leckte sich die Lippen und überlegte, wie sie ihm das vermitteln konnte.
Gabrielle legte den Arm um Ben Carsvilles Hüfte.
Tita Vasseli hasste ihre kleine Schwester geschlagene zehn Sekunden lang. Dann fasste sie sich wieder und verspürte sogar eine gewisse Erleichterung.
Ben Carsville machte es nichts aus. Er wusste, was er gesehen hatte. Und wenn ihm Tita Vasseli nie wieder begegnen würde, er würde es doch niemals vergessen. Die Antwort lautete Ja. In der Zwischenzeit verführte er Gabrielle. Tita Vasseli fuhr nach Hause, verbrachte ein paar Tage mit dem vergeblichen Versuch, sich zusammenzunehmen, und gestand sich schließlich ein, dass sie ein spuckender Kessel voll sexueller Frustration war, der bald überkochen, die Küche zerschmelzen, die Ringleitung verdampfen und das ganze Viertel einäschern würde. Angesichts dieser Konsequenzen entschied sie kühl, die einzige Möglichkeit sei nun, auf erwachsene Weise mit der Situation umzugehen und mit Volldampf ihren ursprünglichen Plan in Sachen Ben Carsville zu verfolgen, nämlich das Vögeln. Sie rief ihn an. Als Gabrielle Tita und Ben eine Woche später im Bett erwischte, ließ ihr Geheul die Wände wackeln. Ihr Zähneknirschen klang wie eine Lawine. Tita war entsetzt, zugleich aber auch erfreut. Später an diesem Tag zeigte sie Ben etwas so Obszönes, dass er fast ohnmächtig wurde.
Zum Militär ging er aus reiner Langeweile, und natürlich, weil er in seinem ganzen Leben noch niemanden getroffen hatte, der ihm etwas abschlagen konnte. (Ben Carsvilles Leben verlief anders als Gonzos Leben. Gonzo war zwar charmant, und seine unerschöpfliche Antriebskraft wirkte mitreißend, aber er kannte doch auch Zweifel. Ben Carsville dagegen nicht. Seit jenem Tag, an dem sie seinen Spielplatz gepflastert hatten, lebte er in dem Wissen, dass die eroberte Erde unter seinen Füßen glatt und konturlos war.)
Im Dienst schlug jemand Ben Carsville einen Schneidezahn aus, der ersetzt werden musste. Unter einem Auge hat er eine dünne, elegante Narbe von einer Schlägerei, die sich darum drehte, wer wessen Ellenbogen an der Theke zuerst angestoßen hatte. Irgendwann war er ausgelaugt und am Ende seiner Kräfte und entdeckte auf einmal, dass er doch noch Reserven hatte. Er strahlte, und irgendwie renkte sich alles wieder ein. Kein Krieg, kein Problem. Nur ein paar schleppende Beförderungen – der endlose, unausweichliche Aufstieg. Er sah Kriegsfilme, weil es sonst keine Gefechte gab. Apocalypse Now sah er zweihundertfünfzig Mal. Er bewarb sich bei den Friedenstruppen, wurde genommen und diente in Afrika. Es war gut. Die bösen Buben schossen auf ihn – aber er saß im Panzer und trug Schutzkleidung. Sie trafen ihn sowieso nicht. Einmal hielt er aus Neugierde sein Panzerfahrzeug an und stieg aus, lief in die Feuerzone und erledigte eine Maschinengewehrstellung mit einer einzigen Handgranate. Er bekam eine Medaille für Tapferkeit im Kampf, aber in Wahrheit traf beides nicht zu.
Er erinnert sich, wie er nach Addeh Katir kam. Er weiß noch, mit welcher Hoffnung er landete, als das Flugzeug über den grünen Baldachin der Wälder glitt, über Berge, die wie zerbrochenes Glas wirkten, und endlose, miteinander verbundene Seen. Er weiß noch, dass die Einwohner offen, aber misstrauisch und zornig waren, alleingelassen und stolz. Dies war wenigstens mal ein Ort, der laut und deutlich »Nein« sagte und es ernst meinte. Er verliebte sich in das Land.
Addeh Katir brauchte drei Tage, um Ben Carsville auf das Rad zu binden und zu zerbrechen. Niemand war auch nur im Mindesten an seinem guten Aussehen interessiert. Als er ankam, hatten die Katiris schon seit mehr als einem Jahrzehnt unter Erwin Kumar, seiner korrupten Polizei und seinen ausländischen Gönnern gelitten. Und nun waren sie es leid. Einige Leute – wahrscheinlich Schäfer, weil Ben Carsville am Roten Tor einen kleinen Ovizid befohlen hatte – griffen zu den Waffen und schossen auf seine Männer. Sie schossen mit Kugeln und Pfeilen und warfen Wurfpfeile und Kieselsteine. Ben Carsvilles Einheit verlor in der ersten Woche drei Männer durch Kieselsteine. Sie wurden am Hals getroffen. Der vierte hatte Glück – er wurde nur am Auge getroffen, verlor zwar die räumliche Sehkraft, starb
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