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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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ein französisches Heer unter Führung eines ähnlich reizbaren und kurz geratenen Korsen nach Ägypten einmarschierte, um sich ein Stück dieser Gegend unter den Nagel zu reißen und den Briten die Vorherrschaft über Indien streitig zu machen. Mustafa mit dem goldenen Ohr ließ seine Truppe pflichtschuldigst antreten und zog aus, sich mit dem niederträchtigen Franzmann zu treffen, der immer noch entschlossen schien, die Mamelucken zu besiegen und den Bey gefangen zu nehmen, obwohl er durch die Hand von Horatio Nelson bereits eine prächtige Niederlage erlitten hatte.
    Da er mit Tod und Spott rechnete, war Mustafa angenehm überrascht, als Ehrengast empfangen zu werden, und noch entzückter darüber, dass der Grund dafür sein bisher eher nachteiliger Mangel an vertikaler Ausdehnung war. Der Korse war wiederum sehr erfreut, einen Erzfeind in einen echten Bewunderer verwandelt zu haben. Nach liebenswürdigen Diskussionen, wie genau der Sieg errungen wurde und was jetzt geschehen solle, berauschten sich Napoleon und der Bey mit ungesund starkem Kaffee, französischem Cognac und verdächtig duftendem Pfeifentabak. Als diese Nacht vorbei war (etwa eine Woche später), geleiteten Mustafa Beys Späher Napoleon heimlich an den britischen Posten vorbei zur Küste, worauf dieser nach Frankreich zurückkehrte und allen erzählte, wie er in anglo-arabische Hintern getreten habe, bevor er ruhmreich wieder nach Hause gerannt sei. Mustafa Bey kehrte in Begleitung einer Furcht einflößenden Abenteurerin namens Camille de la Saint-Vièrge auf seine Burg zurück. Kurz darauf gebar sie ihm einen Sohn, der nicht nur die Mameluckenschule, sondern auch eine britische Anstalt besuchte. Denn es ist immer nett, bei dem zu lernen, der dich geschlagen hat, aber noch viel praktischer, das Handwerk bei jenem zu lernen, der ihm den umgedrehten Hut mit seinen Zähnen darin gereicht hat.
    Aus diesen Wurzeln spross eine seefahrende Familie von Beys, die international gebildet und entschieden unabhängig waren und mit ihren sogenannten Herrschern oft über Kreuz lagen. Mit ihren Streitereien wegen der Befehlskette wären sie die geborenen Amerikaner gewesen, nur dass Solomon Bey (1901-1947) nach seiner Studienzeit an der Sorbonne alle religiösen Fragen verwarf und zu der Einsicht gelangte, die Vereinigten Staaten seien die bei Weitem strenggläubigste Nation der Welt. In der gleichen Zeit verspürte der Maharadscha von Addeh Katir, Ranjit Rhoi – auch Zweifelnder Randy genannt –, das dringende Bedürfnis, militärisch erfahrene Männer aus gutem Hause um sich zu scharen, und lud Solomon, Zaher Beys Vater, dazu ein, eine Flussmarine und eine katirische Landesverteidigung aufzubauen. Ganz gegen seine sonstige Art hielt der Maharadscha an seiner Entscheidung auch dann noch fest, als alles andere um ihn herum zusammenbrach. Solomon verlegte seine junge, schwangere Frau zwangsweise und gerade noch rechtzeitig in eine ungeheuer schöne Hügelfestung, bevor das britische Empire in einen schrecklich blutigen Krieg verwickelt wurde und sich für immer vom Subkontinent zurückzog. Zaher Bey kam an einem bewölkten Sonntag im Juni 1947 zur Welt und wurde schon am folgenden Mittwoch zum Waisenkind, als die Vertreter eines einheimischen Verbrechersyndikats beschlossen, das Joch der britischen Unterdrückung abzustreifen und Solomon und seine gerade genesene Gattin zu töten, wobei sie im darauf folgenden Durcheinander rein zufällig den Transport einer riesigen Ladung Opium aus Afghanistan ermöglichten. Einem Adjutanten Mountbattens gelang es nun, vermutlich mit Billigung des großen Mannes, dem ohnehin kaum etwas entging, Zaher Bey nach London zu bringen. So kam der Bey, gehüllt in ein Ziegenfell und auf ein beträchtliches Vermögen gebettet, nach London und besuchte schließlich die Universität von Oxford, wo er die Puppen tanzen ließ, sich oft betrank, für sein College ruderte und mit der Tochter des Dekans von Baliol in flagranti erwischt wurde – all das, noch bevor er die höheren Semester erreicht hatte. Seine Leistungen gelten bei allen, die seinen stürmischen Weg durch Oxfords Sündenpfuhl mitsamt seinen hübschen Studienanfängerinnen beobachtet haben, heute noch als Wunder. Sein Gefährte und gelegentlicher Kautionsbürge war ein schlanker Sprössling Addeh Katirs namens Nq'ula Jann, ein erstaunlicher Universalgelehrter und ein intellektueller Snob, der zuletzt gesehen wurde, als er bei der Evakuierung von Fudin den Rolls-Royce lenkte,

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