Die gelöschte Welt
dem Turm auf. Kemners Leute stürzen aus der Abflughalle, sie rennt hinter ihnen her und schreit: »Halt!« Aber sie hören nicht. Sie rennen zum Tower, um den Brand zu löschen, daher sind ungefähr zehn von ihnen in seiner Nähe, als er explodiert. Eine Sekunde später fliegen auch mehrere Nebengebäude und die verbliebenen Flugzeuge in die Luft. Auf dem Corvid's Field wird es laut und heiß. Ich sehe mich um, ob dunkle Wolken und das Gesprenkel auftauchen, aber dies ist die gewöhnliche Hölle, von Menschen gemacht und berechenbar. Fast gemütlich. Kemner sammelt ihre verbliebenen Leute um sich und flucht, was das Zeug hält. Irgendetwas antwortet ihr kreischend und mit Kugeln und voller Zorn. Die orangefarbene Person taucht aus einem Hangar auf und greift sie an, ein Bein ist verdreht, die Schüsse schlagen rings um ihn ein.
Kemner sieht ihn. Sie reagiert nicht vernünftig und gelassen, sondern schreit, brüllt und ruft und rennt ihm entgegen. Beide werden getroffen, beiden ist es gleich. Blut spritzt hoch, sie haben eine Mordswut aufeinander. Sie sind in ihr eigenes, persönliches, völlig verrücktes High Noon vertieft. Das ist aber ihre Privatsache. Wir lassen sie in Ruhe.
Gonzo packt mich am Hals und stößt mich auf die Straße hinaus, Sam der Killer und Jim Hepsobah übernehmen die Führung, als wir geduckt zum Fahrzeugdepot laufen. Gonzo hat sich jetzt Egon auf die Schultern geladen und rennt so schnell wie ich. Leah hat Mühe, aber ich kann sie nicht tragen. Ich bin nicht Gonzo. Meine Hand ist gebrochen. Ich zerre sie so schnell wie ich es wage mit und hoffe, sie verzeiht mir, dass ich nicht größer und stärker bin.
Wir erreichen das Depot und holen unsere Sachen. Wir fliehen. Kemner und die verrückte orangefarbene Person können ihre letzte Schlacht ohne uns schlagen. Wir haben unsere eigene hinter uns, das ist jetzt vorbei. Es ist nicht kühn und heldenhaft, aber so bleibt man am Leben.
Wir fahren mehrere Stunden und wollen vor allem weg. Die orangefarbene Person hat uns sehr geholfen, aber sie hat auf der Startbahn auch unseren Heimweg in die Luft gejagt. Ich summe laut, weil Ruth Kemner nicht mehr kommen und mich erwischen kann. Leah findet ihre medizinische Ausrüstung und verpasst mir irgendetwas Nettes. Wir alle haben noch die Geräusche im Kopf (gehen Sie mir bloß mit Köpfen weg) und den Geruch in den Nasen. Ich sehe zu, wie draußen die Welt vorbeizieht und bemerke schließlich, wohin wir fahren. Gonzo bringt uns nach Shangri-la. Ein Haus, das man verteidigen kann und das vielleicht sogar sicher ist. Aber Addeh Katir ist nicht mehr so wie früher. Die ganze Landschaft wirkt harscher und grauer, als hätte jemand Eisenfeilspäne drübergekippt. Am Himmel kreisen Bussarde und Geier, sogar Krähen. Die Bäume sind tot. Die Schafe sind ganz sicher tot; sie haben sich buchstäblich über das ganze Land verteilt. Die Hälfte eines Schafs starrt uns, das Maul zu einem letzten verzweifelten »Bä-hä« geöffnet, vom Straßenrand aus an. Die Straße ist hinüber. Inzwischen dämmert mir auch, warum Professor Derek wie so viele andere brillante Köpfe vor ihm im Grunde doch nur ein verdammter Idiot ist. Die Schönheit der Löschungsbombe bestand eigentlich darin, dass sie so sauber war – aber das hier kommt mir eher wie ein Fallout vor, wie schreckliche Nachwirkungen. Genau das, was nach Professor Dereks Ansicht auf gar keinen Fall passieren konnte.
Wir fahren durch den schmutziggrauen Tag. Gelegentlich sehen wir Menschen oder Wesen, die Menschen sein könnten, aber sie verstecken sich, und wir halten nicht an. Manchmal hören wir auch Explosionen, hin und wieder zucken helle Blitze mit erstaunlich bunten Farben, die völlig fehl am Platze scheinen. Giftgrün und turnhallengelb flackert es einen Kilometer entfernt hinter einer Ecke, dann gibt es einen Knall oder ein Zischen, und es ist wieder still. Die Farben kommen mir irgendwie bekannt vor. Wir fahren weiter. Niemand versucht, uns zu töten. Irgendwie befinden wir uns im Auge des Sturms. Etwas glitzert unnatürlich rosa über den Bäumen. Weit entfernt lärmen Motoren.
Inzwischen verdient die Straße kaum noch ihren Namen. Vor einer Woche war sie noch ein halbwegs brauchbares Stück Infrastruktur, jetzt kommt sie mir vor, als müssten Hagelkörner in der Größe von Fußbällen darauf gefallen sein. Tiefe Risse und winzige Schluchten laufen kreuz und quer darüber. Als wir die Berge erreichen, ist sie endgültig verschwunden, und wir
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