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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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ist unmissverständlich, aber es braucht eine Weile, um zu wirken, weil es ganz und gar dem widerspricht, was man als die vorherrschende Logik der Situation bezeichnen könnte.
    Der Anführer kapiert es kurz vor Gonzo, oder vielleicht ist er auch nur kein guter Pokerspieler, denn er grinst so breit wie im Comic, steckt langsam und demonstrativ seine Pistole ins Halfter und verneigt sich in Leahs Richtung. Sie nickt, und dann geht er hinüber und setzt sich zu ihr. An diesem Punkt setzt sich bei allen die Erkenntnis durch, dass niemand ausgelöscht werden will. So senken sie die Waffen und stecken sie weg, einige umarmen sich zögernd und lachen ein bisschen, einer ihrer Soldaten weint sogar etwas. Wir sagen: »Hurrah«, und sie sagen zu uns: »Hugwugwughug«, dann versuchen wir, sie nachzuahmen und sprechen es falsch aus, was alle ungeheuer amüsant finden, bis eins der Schafe nach links wandert, wo wir alle herumhüpfen und lachen, um mit erheblichem Nachdruck zu explodieren. Da wird uns klar, dass wir unser Hugwug am Rand eines Minenfeldes gefeiert haben. Jetzt ist die Frage sowieso hinfällig, ob wir Verbündete sind oder uns neutral gegenüberstehen. Wir marschieren hintereinander und treten genau in die Spuren des Vordermanns, während Gonzo auf den Knien rutscht und mit Sams Messer in den Boden sticht, um uns in die Sicherheit zu führen.
    Als wir Shangri-La erreichen – wir und die Katiris –, sind wir durstig und hungrig, was ein gutes Zeichen ist, denn vorher waren wir nur mit Überleben beschäftigt und dachten nicht an Hunger. Die Burg liegt in Trümmern. Risse in den Wänden, Einschusslöcher. Der lange Balkon ist kaputt und heruntergefallen, die hügeligen Wiesen sind zerwühlt. Irgendwo unten im Tal brennt es. Am hinteren Ende des Hofes entdecken wir Reifenspuren, die nicht von uns stammen. Irgendjemand war hier. Ist vielleicht immer noch hier. Aber sie sind hergekommen, um sich zu verstecken, und sie sind nicht Ruth Kemner. Ich habe sogar eine Ahnung, wer es sein muss. Ein Honda Civic, mit fluoreszierender grüner Farbe lackiert und mit Heckflossen verschönert, wurde dort hinten abgestellt und lugt gerade eben hinter einem Nebengebäude hervor. Fluoreszierende Farbe – genau wie die Blitze, die wir sahen, als wir vom Corvid's Field flohen. An einer Wand steht ein rosafarbener Mitsubishi Evo, auf der anderen Seite, wie eine füllige Internatsleiterin im Kreise ihrer Schülerinnen, lugt ein brauner Rolls-Royce hervor. Ich denke … ich denke, man hat uns eingeladen hierherzukommen und uns sogar eine Eskorte geschickt. Deshalb nähere ich mich dem Haupteingang und strecke die Hand zu der großen, massiven Tür hin aus.
    Sie öffnet sich, bevor ich sie erreiche, und ich stehe vor einem glitzernden Wald aus Messerklingen in den Händen schlanker Piratenmönche. Hinter ihnen erkenne ich eine Reihe keramischer Glocks, und im Zentrum eine kleine, bärtige Gestalt mit einem Glitzern in den Augen und einer Machete in jeder Hand. Er betrachtet uns und die katirischen Schäfer hinter uns. Gott sei Dank lächelt er und lässt die Hände sinken. Die Piratenmönche folgen seinem Beispiel, und er tritt einen Schritt zurück, damit wir die paar von Flöhen zerstochenen verschreckten Flüchtlinge und ihre Haustiere hinter ihm sehen können. Während er lächelt, hilft mir das einfallende Licht, ihn zu erkennen und mir vorzustellen, wie er rasiert aussehen mag. Es ist mein alter Freund Freeman ibn Solomon, der langatmige Botschafter, der in studentischen Debattierclubs auftrat und sich als außergewöhnlicher Cancan-Tänzer hervortat. Er lächelt.
    »Willkommen«, sagt Zaher Bey.
     

7 Familiengeschichte • Rao Tsurs Sexleben
• Fohlen, Ungeheuer und Träume
     
    Irgendein ferner Vorfahr Zaher Beys war ein türkischer Mameluck namens Mustafa, der als Sklavensoldat in Ägypten diente, bis seine besondere Begabung, massenhafte Todesfälle nicht mit eigener Hand herbeizuführen, sondern zu planen, ihn über die Reihen seiner Kameraden erhob und ihm den Rang eines Generals eintrug. Von diesem Herrn (der früh in seiner Karriere ein Ohr verlor und an dessen Stelle eine goldene Prothese trug) sind keine zeitgenössischen Bilder überliefert, denn dies wäre eine Verletzung der strengen islamischen Gesetze gewesen, wie Mustafa sie verstand. Aber er wird von einem Chronisten seiner Ära (frei übersetzt) wie folgt beschrieben: »ein reizbarer, mörderischer Riesenzwerg«. Als General wirkte er recht erfolgreich, bis 1798

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