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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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feierlich überreicht. Zehn Minuten später nehme ich dank der Alchemie von Zucker und künstlichen Aromastoffen und der Sicherheit, die sie verkörpern, an Gonzos unverständlichem Spiel teil und gewinne. Vielleicht macht er es mir auch absichtlich leicht, aber die Tränen sind auf meiner Kleidung getrocknet und festgebacken. Während eines kurzen Waffenstillstandes eröffnet mir Gonzo in aller Form, ich dürfe ihn am Nachmittag nach Hause begleiten, um seinen Vater kennenzulernen, der unermesslich weise ist. Ich dürfte auch die Kochkünste seiner Mutter genießen, die unter den Sterblichen ihresgleichen suchen, und höchstpersönlich mit Keksen die Esel der Lubitschs füttern, deren Fell schöner glänzt und deren Augen leidender blicken als die aller anderen Esel auf der Welt. Ma Lubitsch aber, die aus der Nähe zugeschaut hat, erkennt mit der instinktiven Klugheit einer dicken, ausgewanderten polnischen Mutter, dass ihre Familie soeben gewachsen ist. Es stört sie nicht.
    Mit ihren Ofenhandschuhen und der gewaltigen Schürze gewappnet, starrt Ma Lubitsch noch eine Weile durch die Schiebetür hinaus, aber Gonzos Vater jagt jetzt zwischen den Bienenstöcken mit der Rauchpistole eine einzelne versprengte Biene. Abweichler sind im Bienenhaus nicht gern gesehen. Ma Lubitsch schaukelt wie ein Schiff auf hoher See, trampelt einmal, zweimal, dreimal von einem Fuß auf den anderen und kehrt schließlich zum Tisch zurück, um zu servieren, wobei sie halblaute polnische Flüche ausstößt. Der kleine Gonzo eilt voll kindlicher Empörung hinaus, um den Alten zurechtzuweisen und zu holen. Ich folge etwas langsamer, denn ich bin fünf und in der neuen Umgebung noch vorsichtig. Das Äußere kann täuschen, ehrliche Gesichter können lügen, und große Schiffe sinken, während kleine das Unwetter überstehen. Aber wenn Sie mich jetzt fragen, woher ich das weiß, kann ich es Ihnen auch nicht sagen.
    »Ma sagt, es gibt Essen«, verkündet der kleine Gonzo energisch. Der alte Lubitsch, der in der Bienenzucht verlorene Sünder, bittet mit erhobener behandschuhter Hand um Nachsicht. Die Biene sitzt vor ihm auf einer Fliese, wahrscheinlich hustet sie. Einen Augenblick lang scheint es fast, als wolle Gonzo sie zertreten, um diese Störung der familiären Harmonie zu beseitigen, aber sein Vater ist schnell, obwohl sein Gesicht wie verblichene Wolle aussieht. Oder vielleicht weiß der alte Lubitsch auch nur genau, wie wichtig eine gute strategische Position ist. Jedenfalls bückt er sich, versperrt mit dem ganzen Körper Gonzos Angriffsvektor und hebt die Biene behutsam auf, um sie in den Bienenstock Nummer drei zu stecken.
    »Mittagessen«, stimmt der alte Lubitsch zu. Ich habe einen Augenblick lang das Gefühl, er lächelt mich an.
    Wir kehren ins Haus zurück, aber Gonzos Mutter ist nicht zu besänftigen. Spannungen haben sich aufgebaut. Sie sind schon vor meiner Ankunft entstanden, weil Gonzos älterer Bruder Marcus zum Militär gegangen war und in irgendeiner vergessenen Ecke irgendeines fremden Schlachtfeldes vergaß, sich rechtzeitig zu ducken, sodass er nicht mehr nach Cricklewood Cove zurückkehren konnte. Ma Lubitsch betreibt beim Essen eine weiße Magie, an die sie unerschütterlich glaubt – wenn sie Gonzo mit gesunder Nahrung füttern und ihm eine verlässliche, stabile Lebensgrundlage bieten kann, dann wird er für die Welt gut gerüstet sein. Er wird erobern und überleben, aber kein Bedürfnis verspüren, das Abenteuer zu suchen. Er wird sie nicht verlassen. Für Ma Lubitsch ist das Mittagessen das Allheilmittel gegen den Tod. Der alte Lubitsch jedoch weiß, dass der Bienenstock aus Gründen, die nicht einmal den Bienen ganz klar sind, hin und wieder seine Bienen-Kinder ausspeien und dem Wind überlassen muss. Deshalb bereitet er sich schon auf den Augenblick vor, in dem sein Sohn entweder eine Königin findet und seinen eigenen Bienenstock gründet, oder fliegt und fliegt, bis er nicht mehr kann, um irgendwo in den Dreck zu fallen und wieder ein Teil der weichen Wiesen ringsum zu werden.
    Während des Essens spricht Ma Lubitsch nicht mit ihrem Mann. Von der ersten Kartoffel bis zum letzten Splitter der Schokoladenglasur sagt sie kein Wort. Sie spricht nicht beim Kaffee und auch nicht, als Gonzo sich verabschiedet, weil er am Bach angeln will. Es scheint, als wolle sie nie mehr mit ihm sprechen. Aber als ich unangemeldet zurückkehre, um eine vergessene Schachtel mit Ködern zu holen, kann ich sehen, wie sie, dieser

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