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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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mit den Proben für ihren Auftritt und teilen in feierlicher Stille Mops, Schirme und Kochbananen aus.
    Fünf Minuten später schwinge ich einen Vorschlaghammer, um Metallstifte in den Boden zu treiben. Die Stifte werden das Hauptzelt spannen, weshalb es eine große Zahl von ihnen gibt. Das ist eine sehr wichtige Aufgabe. Viele andere Leute tun das Gleiche, aber diese Stifte wurden mir übergeben. Es ist eine angenehme rhythmische Arbeit.
    Es gibt eine bestimmte Methode, um diese Arbeit zu erledigen, eine Technik. Der Hammer ist unerhört schwer und kaum zu kontrollieren. Nur ein extrem starker Mann könnte ihn öfter als ein paarmal regelmäßig heben und damit zuschlagen. Nur ein idiotischer starker Mann würde dies versuchen, und davon gibt es überraschend wenig. Während man einen Körperbau zu entwickeln sucht, mit dem man tatsächlich große Gewichte heben könnte, lernt man, dass oft viel einfachere Wege zum Ziel führen. Der Trick beruht natürlich wieder einmal auf Newtons Gesetzen: den Hammer bewegen, damit er von seinem eigenen Schwung nach oben getragen wird, seine Richtung verändern, wenn er die maximale kinetische Energie, aber die minimale Geschwindigkeit erreicht hat, und ihn dann dergestalt von dem Metallstift oder der Stange abprallen lassen, dass die Reaktion dazu beiträgt, den nächsten Aufwärtsschwung einzuleiten. Ungefähr dieses Prinzip kommt auch in der Kampfform mit dem einschneidigen Schwert zur Anwendung, die Meister Wu im Stummen Drachen lehrte.
    Jedenfalls habe ich mich bald an das Gewicht, die Balance und die Schwungkraft des Hammers gewöhnt und kenne auch die Fallstricke – der Griff wird in der Hitze glitschig, der Kopf prallt nicht immer so ab, wie er soll, und im Gegensatz zu einem Schwert ist die Balance unangenehm weit zum vorderen Ende verschoben. Ich habe die Stifte bereits in einer langen Reihe aufgestellt. Jetzt bin ich bereit, leere meinen Geist und laufe mit fließenden, ungebrochenen Bewegungen an der Reihe entlang. Es beginnt mit der Verborgenen Schlange (die Waffe folgt dem hinteren Bein, damit sie nicht sofort zu sehen ist; der Gegner muss dies entweder akzeptieren oder seine Position entsprechend verändern, und die Stifte sind so dumm, die erste Möglichkeit zu wählen), dann folgt das Umrühren des Kessels (eine Drehbewegung, mit der die Waffe in die richtige Stellung für den ersten Angriff gebracht wird).
    Ich reiße den Hammer hoch (Pferd steigt vor dem Mond hoch) und trete vor. Dann das Haar spalten (der Abwärtsschlag), gefolgt von den Wolkenhänden (eine kreisende Bewegung) und zurück zum Umrühren des Kessels. Es gibt einen kleinen Zwischenschritt, den Meister Wu als Gehen wie Elvis bezeichnet hat, aber Elisabeth versicherte mir nicht ganz unberechtigt, dies sei wohl kaum der ursprüngliche Name gewesen. Dennoch gehe ich wie Elvis. Nachdem drei oder vier Stifte mühelos im Boden versunken sind, füge ich den Flankenangriff auf tausend Gegner hinzu (eine Drehung, bei der die Waffe um hundertachtzig Grad herumschwenkt, bis ich um neunzig Grad versetzt zwischen zwei Stiften stehe) und lasse die Räder des meisterlichen Wagens folgen (den Hammer erst zu einer, dann zur anderen Seite pendeln lassen), um schließlich die letzten sechs rasch nacheinander anzugehen (der Geschwätzige Bach und das Spalten des Haars folgen schnell aufeinander). Schließlich noch eine Drehung (der Affentanz), wobei der Hammer seine Bewegung nie unterbricht und die Stifte noch einmal zwei Handbreit tief in den harten Boden treibt. Nachdem ich auf diese Weise zum Anfang zurückgekehrt bin, halte ich inne. Meine Arme sind nicht müde, aber mein Herz schlägt schnell, und die verschorften Wunden schmerzen. Ich spüre Stiche in der Brust und kleine heiße Stellen, wo die Kugeln im Fleisch saßen. Trotzdem – Job erledigt! Und das in etwa drei Minuten. K sagte mir, es würde mindestens eine halbe Stunde dauern. Ha! Ich kann meine Fähigkeiten auf andere Bereiche übertragen.
    Als ich mich umdrehe, um mir Kuchen zu besorgen, bemerke ich neben dem Kantinenzelt eine Gestalt. Ike Thermite beobachtet mich. Seine Augen sind rund. Natürlich, sie sind immer rund, denn sie sind aufgemalt. Dennoch bringt er irgendwie eine beachtliche Überraschung zum Ausdruck, und als ich bei ihm bin, grinst er.
    »Zeltpflöcke?«, fragt er.
    »Ja.«
    »Normalerweise«, sagt Ike Thermite, als wollte er mir ein Geheimnis anvertrauen, »normalerweise schlingen wir die Seile um die Pflöcke, bevor wir sie in den

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