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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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Boden treiben.«
    Oh verdammt.
    Aber wenigstens will er nicht über Matchingham reden oder mich nach meiner Frau fragen. Dafür bin ich auch unendlich dankbar.
     
    Der Zirkus besteht aus vielen Einzelteilen. Es ist eine bunte Mischung aus auftretenden Akrobaten und Pantomimen, einer Schäferhundprüfung und einer Zaubervorstellung. Die Hundeprüfung finde ich überraschend. Inmitten all des Lärms und der Geschäftigkeit rast ein schlaksiger schwarzer Schotte mit einem mächtigen Bart auf einem Quad umher. Zwei gescheckte, eifrige und neugierige Border-Collies sitzen hinter ihm auf der Ladefläche. In einem mit Rädern versehenen Drahtkäfig hocken mehrere indische Laufenten. Die Collies heißen möglicherweise Mnwr und Hbw, und der Mann selbst – natürlich ein weiterer K – wendet sich mit scharfem, gereiztem Knurren und Kläffen an sie. Die indischen Laufenten haben keine Namen. Oder wenn doch, dann werden sie uns nicht verraten. Sie sollen die Schafe darstellen. Sie haben viele Eigenschaften von Schafen, ohne tatsächlich Schafe zu sein. Sie sind sagenhaft dumm. Sie können nicht fliegen. Sie rotten sich zusammen, und wenn sie die Gelegenheit dazu haben, schwanken sie auch und purzeln übereinander. Ein körpereigenes Öl, das ihr äußeres Gefieder tränkt, schützt sie vor der Feuchtigkeit. Wenn man auch nur eine kurze Zeit in ihrer Gesellschaft verbringt, bekommt man Lust, sie vor Frustration allesamt zu töten.
    K (der Schotte) wedelt mit den Armen.
    »Hallo, meine Damen und Herren, mein Name ist K, und ich bin für heute Abend Ihr Zirkusdirektor.« (Man kann ihn wegen des schottischen Akzents kaum verstehen.) Dann setzt er zu einer Erklärung über den Hund mit den guten und den anderen mit den schlechten Augen an (ersterer hat ein Gesicht, das vermuten lässt, er sei ein entenfressender Psychopath, ein Wesen der Tat, das sich durch nichts daran hindern lässt, sein Ziel zu erreichen, und der dazu geeignet ist, andere Tiere zu hetzen oder sie reglos verharren zu lassen und in der Hitze des Kampfes als tödliche Gefahr einzuordnen; der zweite Hund dagegen ist von milderem Charakter und erledigt seinen lob überwiegend auf eine nicht gewalttätige Weise, denn er ist besonders geschickt darin, ein Auseinanderreißen der Herde zu verhindern, genau zu manövrieren und mildtätige Werke zu verrichten). Danach führt er ein paar raffinierte Tricks beim Entenhüten vor und beklagt lautstark die Räumung der Highlands. Beeindruckend, dass die Wut auf diese alte politische Sünde überleben und ungezügelt in die neue Welt Eingang finden konnte.
    Nun sind die Pantomimen an der Reihe. In der leeren Luft erschaffen sie unter einem launischen Gott ein Haus, eine Straße, eine Stadt und eine Nation. Sie eilen sehr verwirrt durch die Welt (die Kulissen zeigen geheimnisvolle alte, entfernte Orte wie Venedig und Delhi) und führen eine endlose Parade von Slapstick-Einlagen und akrobatischen Kunststücken vor einem traurigen, bekümmernden Hintergrund auf. Das Matahuxee Mime Combine zeigt uns ein Universum. Sie wirken hypnotisierend – sie machen Überschläge, verbiegen sich, preschen umeinander und stapeln sich in einer Art entrückter Stille übereinander. Sie sind eine Art Anti-Nietzsche-Clowns, die allein durch ihre Existenz das Alltägliche wiederherstellen. Ein sanftes Heilmittel für das heimtückische Vergessen, an dem wir leiden. Dann erschaffen sie Dr. Andromas – wie aus dem Nichts.
    In einem Augenblick ist Ike Thermite noch mit einer Slapstick-Aufführung mitten auf der Bühne beschäftigt, und im nächsten sind die Pantomimen seiner anscheinend überdrüssig geworden und schleppen ihn fort. Donnernder Applaus ertönt, es wird schlagartig dunkel, und nun tritt Dr. Andromas auf, der Bettlerkönig. Er trägt einen verstaubten Frack, heruntergekommene Hosen und gute, spitze Schuhe. Sein Zylinder entpuppt sich als Chapeau Claque mit einem Metallgerüst im Innern, das es erlaubt, den Hut zusammenzufalten. Eine Seite des Gerüsts ist offenbar locker oder zerbrochen, denn hin und wieder sackt Dr. Andromas' Hut auf der linken Seite so in sich zusammen, dass der gute Doktor ihn abnehmen, wieder ganz aufklappen und erneut aufsetzen muss. Sein unverschleiertes Gesicht ist weiß und wirkt erschrocken. Und er hat seinen grotesken Schnurrbart mit Wachs zu winzigen, scharfen Spitzen geformt. Er hat ein schönes, androgynes Gesicht, bei dem man sofort glaubt, man wäre dem Besitzer schon einmal begegnet. Ich versuche, ihn

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