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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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Sie grinst.
    Ich betrachte ihn. Offensichtlich zieht sie ihn auf. Milton hebt warnend eine Hand.
    »Lasst euch nicht täuschen. Mr Crabtree ist unser geheimer Meister, nicht wahr, Robert?«
    Er hebt den Kopf und wirft mir unter schweren, runzligen Lidern mit seinen dunklen Augen einen Blick zu.
    »Ich transportiere nur die Akten«, sagt er entschieden. In Mr Crabtrees Welt bedeutet es eine Vertrauensstellung, wenn man die Akten befördert. Über die Papiere scherzt man nicht. Andererseits ist Mae Milton einigermaßen bezaubernd, und dagegen ist nicht einmal Robert Crabtree immun. Sie lächelt ihn breit und strahlend an. Mir fällt ein, dass sich Mae Milton nicht lange als Bürotrottel halten wird, wenn sie so weitermacht.
    »Hmpf«, sagt Robert Crabtree. Kr zieht die Mundwinkel etwas hoch, um ihr zu zeigen, dass er das Lächeln bemerkt hat, und lenkt seine Karre um mich herum. Mr Crabtree hat hundert Leute von meiner Art kommen und gehen sehen. Er wirkt nicht beeindruckt. Im nächsten Jahr werde ich befördert oder gefeuert. Ich bin dann ausgelöscht oder hochgelobt, und die einzige Erinnerung an meine Gegenwart in diesem Stockwerk werden meine Initialen sein, die auf der Damentoilette für die Manager in die Rückwand einer Kabine geritzt sind. Na schön. Aber Robert Crabtree ist wichtig. Ich weiß nicht, wieso, aber Mae Milton hat mir etwas Bedeutsames gezeigt, wenn ich nur den Verstand habe, es zu begreifen.
    Ich winke ihr zu und schlendere hinter ihm her. Er hat keine Einwände. So schiebt er seinen Karren durch die Flure von Jorgmund und sammelt orangefarbene Umschläge ein. Niemand spricht mit ihn. Niemand sieht ihn an. Er ist einfach nur da, ein Rädchen im Getriebe. Schließlich betritt er einen großen, runden Raum mit einem teuren Tisch in der Mitte. Ein paar Farne (warum haben die hier so viele Farne?) behindern seinen Weg zum Ende des Tisches, außerdem stört ein Schaukasten mit irgendwelchem edlen Krimskrams sein Fortkommen.
    »Das Sitzungszimmer des Leitungsausschusses«, erklärt Mr Crabtree. Er sieht sich um, als wäre er zum ersten Mal hier. Vermutlich ist es aber nur das erste Mal an diesem Tag. Den Nippes bedenkt er mit einem spöttischen Lächeln. Mr Crabtree hält nichts von Firlefanz. Der ist nur dem Papier im Weg. Er lädt eine große Fuhre auf den Tisch und richtet die Umschläge so aus, dass sie in ordentlichen Stapeln zur Bearbeitung bereit liegen. Auf ihn wartet ein kleinerer Stapel gelber Umschläge mit dem Aufdruck »Weiterleiten zur Zentrale«. Er nimmt sie an sich und wandert weiter den Flur hinunter. Karten und Pläne, sagte Ronnie Cheung in der Dunkelheit vor Ks Zirkus. Du musst den Feind kennenlernen. Folge den Dokumenten. Ich folge ihnen. Mr Crabtree ist mein Führer in einem fremden Land. Nun, Robert, wo sind die Karten und Pläne? Ich bin nur neugierig, ich will nicht auf die Nerven gehen.
    »War mir eine Freude«, sagt Robert Crabtree ohne aufzuschauen. Ich sehe mich um. Er redet mit mir. Er hat sich verabschiedet.
    Wir erreichen das Ende des Gebäudes. Am Ende dieses Ganges gibt es ein Fenster, das Haviland City überblickt, und einen kleinen, fast unscheinbaren Anbau, der seitlich an die Jorgmund-Verwaltung anschließt. Robert Crabtree schiebt seinen Karren in einen kleinen Wartungsaufzug und dreht sich zu mir um. Da drinnen ist kein Platz für mich.
    »Zur Zentrale«, sagt Robert Crabtree tonlos. Die Türen schließen sich.
    Ich lausche dem Lift. Er fährt lange abwärts. Wahrscheinlich bis zum obersten Stockwerk des kleineren benachbarten Gebäudes. Vielleicht führt er auch zu einem Büro in diesem Gebäude, von dem aus man das andere Dach überblicken kann. Ich stehe am Ende des Flurs, schaue zur Stadt hinaus und hoffe, dass mich niemand sieht und fragt, was ich hier zu suchen habe. Zehn Minuten später öffnen sich die Aufzugtüren wieder. Robert Crabtree kommt heraus. Sein Wagen ist mit grünen Umschlägen bedeckt, auf denen »Ausführen« steht. Er betrachtet mich einen Moment lang und fragt sich, warum ich wohl auf ihn gewartet habe, kommt dann aber zu dem Schluss, dass es ihm eigentlich egal ist.
    »Wenn Sie mir wie ein verdammtes dummes Schaf folgen«, sagt Robert Crabtree abrupt, »dann können Sie auch da vorne mit anfassen, denn die Mistdinger fallen gern mal herunter und kriegen Knicke, dann gibt es Ärger.«
    Ich zögere. Mit seinen Gichtfingern packt er gereizt meine Hand und drückt sie schmerzhaft fest auf das vordere Ende der Karre. Dann biegt er mit der

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