Die gelöschte Welt
(abgesehen von mir selbst) kann die Mitglieder des Leitungsausschusses namentlich nennen, kennt ihre Hobbys und ihre Schwächen. Jeder weiß, wie sie gern genannt werden und was sie am liebsten trinken. Dick Washburn wird eines Tages ganz sicher in den Leitungsausschuss berufen, falls das Lubitsch-Projekt gut verläuft.
»Das war eine kühne Initiative«, murmele ich. Die Leute nicken und räuspern sich. »Hat jemand die Projektionen gesehen?«
»Sie sind gewaltig«, erklärt Buddy Keene.
»Wirklich umwerfend«, stimmt eine Frau namens Mae Milton zu.
Sie sehen mich an, als erwarteten sie eine Bestätigung, dass sie das Richtige gesagt haben. Mir wird klar, dass sie keine Ahnung haben, worum es überhaupt geht.
Das Lubitsch-Projekt. Die Worte gehen mir durch den Kopf, und ich mag sie nicht. Es gefällt mir nicht, dass das Projekt einen Namen und kein Aktenzeichen oder einen Spitznamen hat. Oder dass ein Gremium, das sich mit Planungen beschäftigt, davon gehört hat. Vor allem gefällt mir nicht, dass Gonzos Name dabei eine Rolle spielt. Es geht hier nicht um die Free Company, es geht nicht um Jim Hepsobah und seine Kenntnisse oder um Sally Culpepper und ihr Verhandlungs-Gongfu. Es ging und es geht um Gonzo ganz persönlich. Irgendjemand hat euch hereingelegt. Ja, Ronnie. Allerdings. Und die Frage bleibt bestehen: Wem nützt es?
Buddy Keene redet über Immobilienpreise. Offenbar steigen sie, und viele Mitarbeiter bitten um Gehaltserhöhungen, um den Unterschied auszugleichen. Buddy Keene schlägt vor, Jorgmund möge sie ermuntern, an den Stadtrand zu ziehen, wo die Grundstücke billiger sind. Das wird neue Bautätigkeiten nach sich ziehen (Jorgmund verfügt über eine große Bauabteilung) und erfordert Verbesserungen des Nahverkehrs (in den Händen von Jorgmund Rail & Road). Die längeren Fahrzeiten werden die Angestellten natürlich einen Teil ihrer Freizeit kosten, aber so werden sie in ihrer verbliebenen Freizeit über höhere Mittel verfügen können. Die Alternative wäre, ihnen mehr Gehalt zu zahlen, worauf sie in teurere Viertel umziehen und sich unterbezahlt fühlen. Auf diese Weise könnte ein Zyklus der Unzufriedenheit beginnen, der sich für die Firma nachteilig auswirken mochte. Außerdem entwickeln Menschen, die mehr Zeit mit ihren Familien verbringen, starke Bindungen und gehen eher in den Ruhestand. Manchmal bekommen sie Kinder und verlangen Kindertagesstätten und Urlaub, während Leute, die viele Überstunden machen, keine derart starken Bindungen außerhalb des Unternehmens entwickeln. Sie schwimmen im Wasser der Firma und halten es für die Welt. Kindertagesstätten sind personalintensiv, teuer und daher zu vermeiden. Da Jorgmund der größte Immobilienbesitzer in Haviland City ist, könnte die Firma auch die Mieten und Verkaufspreise senken, aber das würde zu Verlusten in einem Sektor führen, der gerade ein schönes Wachstum erzielt. Solche Entscheidungen sind dem Leitungsausschuss vorbehalten und werden nicht im Planungsausschuss gefällt.
Buddy Keene notiert die Empfehlungen des Ausschusses und steckt den Zettel in einen orangefarbenen Umschlag. Dann legt er den Umschlag in ein Körbchen mit der Aufschrift »Entscheidungsvorlagen« und spricht Entwässerung und Frischwasserversorgung an. Das ist, wenn überhaupt, noch problematischer als die Wohnungsfrage. Ich nicke die ganze Zeit und wünschte, ich wäre nicht hier. Das Lubitsch-Projekt. Verdammt, verdammt.
»Wie fanden Sie es?«, fragt Buddy Keene, als es vorbei ist und ich endlich mit Nicken aufhören kann.
»Faszinierend, Buddy«, lobe ich ihn erfreut. »Wirklich interessant. Ich bin Ihnen was schuldig.« Das war genau die richtige Bemerkung. Buddy Keene nickt erfreut. Er hat mir einen Gefallen getan, ich stehe in seiner Schuld. Das ist eine Sache zwischen Männern, die ganz nach oben wollen. Die Ausschussmitglieder verabschieden sich höflich und wünschten, sie wären mir zuerst begegnet.
Als ich Mae Milton die Hand schüttele, höre ich hinter mir etwas rascheln. Ein alter Mann in einem braunen Pullover mit V-Ausschnitt holt das Kästchen mit den Entscheidungsvorlagen ab und stellt ein leeres bereit. Ich habe ihn nicht kommen sehen und entdecke erst jetzt eine niedrige, verborgene Tür, ähnlich dem Dienstbotenzugang in einem Landsitz, gleich hinter dem Platz des Vorsitzenden am oberen Ende des Tisches. Er trägt ein schmales Metallschild über dem Herzen: »Robert Crabtree«.
»He«, sagt Mae Milton, »da kommt der Boss.«
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