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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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Zusammenkünften einatme. Eine der Sturmhauben gibt uns schreiend und überflüssigerweise zu verstehen, dass dies eine Razzia sei.
    Ich hebe den Kopf. Aline liegt mir gegenüber, das dunkle Haar ist bezaubernd und sexy verwirrt, aber ihre Miene wirkt schrecklich erschüttert und verängstigt. Das wiederum macht mir Angst, denn sie hat doch viel mehr Revolutionen erlebt als ich. Aber so etwas hat sie noch nie erwähnt. Keuchend rufe ich sie beim Namen, aber sie reagiert nicht, und einer der brüllenden Männer kommt herüber und schreit mir etwas ins Gesicht. Dann heben sie mich hoch und schleifen mich allein hinaus, offenbar, weil ich viel subversiver bin als die anderen. Oder vielleicht auch, weil ich – ebenso offensichtlich – mit der hübschen Subversiven in den hautengen Jeans gevögelt habe, was ein guter Grund ist, mich leiden zu lassen.
    Das Innere eines Einsatzwagens ist kein schöner Ort. Es riecht nach Angst und ungewaschenen oder nicht deodorierten Menschen, und vor allem gibt es keine Kissen. Meine Handschellen werden mit einem großen Bügel im Boden verbunden, und ich stelle mir ein riesiges Vorhängeschloss vor und frage mich, was passiert, wenn der Truck in einen der vielen Flüsse fällt, die es in der Gegend von Jarndice gibt. Ich komme erst zu dem Schluss, dass es eine Art Notentriegelung geben muss, und dann komme ich zu dem Schluss, dass so etwas wohl doch nicht existiert. So setze ich mein Vertrauen und meine Hoffnung in den Kahlkopf, der durchs Gitter zu sehen ist, und bemühe mich sehr, ein braver Gefangener zu sein, der keine Gefahr für die Gesellschaft darstellt, und mich nicht zu übergeben. Obwohl einem durchaus übel werden kann, wenn man mit dem Kopf zwischen den Knien in der Hitze von Jarndice hinten in einem fensterlosen Truck hockt.
    Aus dem Plappern im Funkgerät und den einsilbigen Meldungen zwischen dem Fahrer und seinen Kumpanen schließe ich, dass die Burschen mit den Sturmhauben genau genommen keine Soldaten sind. Es handelt sich um eine nichtmilitärische Einsatzgruppe zur Zivilverteidigung und Terrorbekämpfung. Sie sind in Wahrheit intern ausgeliehen worden; die bewaffneten Streitkräfte haben sie den Sicherheitsbehörden zur Verfügung gestellt, und für die Dauer ihres derzeitigen Einsatzes gelten sie als Zivilisten. Das bedeutet, dass sie trainiert sind wie Soldaten, auch bewaffnet sind wie Soldaten, kämpfen und wenn nötig töten können wie Soldaten, aber im Inland und in Übersee eingesetzt werden dürfen, ohne gegen lästige Statuten wie die britische Bill of Rights zu verstoßen. Seltsamerweise haben sie gerade, weil sie keine Soldaten sind, die Freiheit, anderen Leuten gegenüber, die ebenfalls keine Soldaten sind, erheblich unangenehmer aufzutreten.
    Sie marschieren vor den Reihen der festgenommenen Verbrecher auf und ab und schreien, wir seien Quislinge, was mir aber als ausgesprochen obskurer Grund vorkommt, um sich aufzuregen. Hin und wieder schlagen sie jemanden auf den Hinterkopf, oder ein Festgenommener protestiert unbesonnen und wird mit einem Tritt oder einem Faustschlag zum Schweigen gebracht. Dann brüllen sie wieder. Wir seien Umstürzler, Verräter, Kollaborateure, eine fünfte Kolonne, Abtrünnige und Aufwiegler. Nachdem sie uns verarbeitet haben – was vor allem bedeutet, dass sie unsere Namen, Adressen und wenn vorhanden die Ausweise registrieren und dann unsere Gürtel und Schnürbänder einziehen –, betritt ein jüngerer Offizier unsere Zellen und fügt hinzu, wir könnten auch Arnolds und Haw-haws sein. Ich frage mich, ob sie vielleicht einen Thesaurus durchgearbeit haben.
    Die Arrestzellen sind nicht mit Hightech ausgerüstet. Irgendwie habe ich mit gekachelten Fluren, Bio-Monitoren und Lügendetektoren gerechnet, aber nicht mit einem improvisierten Gefängnis, das mitten in einem Lagerhaus mit Maschendraht abgetrennt ist. Ich habe auch nicht mit einsamen Glühbirnen und eisernen Eimern zum Pinkeln gerechnet. Dieser Ort hier kommt mir nicht so vor, als hätte er etwas mit meinem Land zu tun. Er passt eher zu Ländern, von denen ich gelesen habe, dass dort sehr schlechte Verhältnisse herrschen. Eigentlich genau das, wogegen wir protestiert haben, aber wir dachten, es sei woanders. Ich finde es nicht besonders ermutigend, dass uns dies jetzt eingeholt hat.
    Ich teile mir die Zelle mit Iggy und Sebastian und zwei oder drei Leuten, die ich nicht kenne. Offensichtlich sind es keine Studenten, denn sie sind älter und mürrischer und müssen

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