Die gelöschte Welt
Ich hätte gern Zaher Bey.«
»Haben wir nicht. Die darf nur noch das Hotel machen.«
Die Antwort verwirrt mich. Auf einen Austausch von Code und Antwortcode war ich nicht gefasst. Jetzt würde ich mir gern etwas richtig Spionagehaftes ausdenken. Aber mein Gesprächspartner redet schon weiter, ehe ich mir etwas zurechtgelegt habe.
»Es gab nämlich einen Prozess, müssen Sie wissen. Die Leute im Hotel haben einen Beschluss erwirkt. Es ist ihr Warenzeichen, verstehen Sie? Jeder kann eine Torte im Sacher-Stil herstellen, aber nur einer darf die Sachertorte anbieten. So will es das Gesetz«, fügt die Person hinzu. »Aber wie auch immer, wir haben sowieso keine.«
Mir scheint, mein Gesprächspartner hat »Zaher Bey« als »Sachertorte« aufgefasst. Ich erkläre, dass ich eigentlich den Anführer einer politischen Bewegung suche, die als Reaktion auf ausländischen wirtschaftlichen Imperialismus und eine Marionettenregierung, die sich den Gelüsten des Erwin Kumar unterwirft, entstanden ist. Es gibt eine Pause.
»Sie wissen doch, dass Sie mit einer Bäckerei verbunden sind?«, antwortet der Mensch endlich. Wahrscheinlich fragt er sich, ob er die Unterhaltung überhaupt fortsetzen soll.
»Dies ist die Nummer, die ich bekommen habe.« Meine Stimme klingt inzwischen nicht mehr professionell, sondern eher verlegen.
»Dann geben Sie sie zurück«, antwortet die Person einigermaßen amüsiert. »Sie haben die falsche Nummer. Diese Nummer hier gehört zu einer Bäckerei in Basel. Das liegt im Norden, nicht wahr? Wir haben viel Kuchen, aber keine Revolutionäre. Revolution, das heißt doch: schreien und Sachen zerstören. Das ist unschweizerisch.«
Nachdem sie mir diese Informationen gegeben hat, beendet die Person höflich das Gespräch. Ich hocke vor dem Telefon und überlege mir, was ich als Nächstes tun will.
Zwei Tage später setzt sich ein eleganter, zwischen vierzig und fünfzig Jahre alter Gentleman an meinen Tisch im Cork. Ich habe keine Ahnung, wie er es geschafft hat, eingelassen zu werden, aber er kommt mit einem Glas Single Malt von der Theke herüber und erweckt durchaus den Anschein, als fühlte er sich in dieser Umgebung wohl. Mr ibn Solomon (dies ist der Name, den er mir nennt) hat einen winzigen Bauchansatz und trägt einen guten blauen Anzug. Seine Haut ist rein und recht dunkel. Er könnte ein phönizischer Kaufmann oder ein maurischer Markthändler sein. Er ist glatt rasiert und gepflegt und hat sauber manikürte Hände. Mit leiser Stimme teilt er mir zu meiner Überraschung mit, sein voller Titel laute Freeman ibn Solomon und er sei der Generalbevollmächtigte der Streitkräfte des Bey in der Freiheitsbewegung von Addeh Katir. Ob er zu den versammelten Denkern und Trinkern im Club sprechen wolle? Aber unbedingt. Es sei ihm eine Freude und zugleich ein Anliegen. Freeman ibn Solomon gibt jedoch leidenschaftlichen Diskussionen und Verhandlungen von Angesicht zu Angesicht den Vorzug. Keine Bühne und kein Lesepult. Er will in dieser schönen Bar mit uns sitzen und an unserer Unterhaltung teilnehmen, als sei er einer von uns. Um seine Bereitschaft zu demonstrieren, kippt er seinen Bruichladdich und holt sich sofort einen neuen.
»Wir haben einen Gewehrberg«, erklärt Freeman ibn Solomon. »Ihr seid mit Milchseen und großen Ebenen und so weiter gesegnet. Wir aber verfügen über einen Gewehrberg. Es stört uns ja gar nicht, wenn ihr uns alle eure überzähligen Gewehre gebt«, sagt Freeman ibn Solomon. »Wir wünschten uns nur, ihr würdet sie einfach auf den großen Haufen legen. Sie kommen jedoch in kleinen Schüben und Lieferungen in unser Land. Sie landen bei Erwin Kumar, und er verliert sie oder verkauft sie, und dann tauchen sie überall auf. Erst vor einer Woche habe ich in meiner Küche unter dem Brokkoli eine ganze Kiste gefunden. Natürlich«, fügt er ohne eine Spur von Zorn oder Ironie hinzu, »wird sehr selten auch einmal jemand mit ihnen erschossen, was ich äußerst beunruhigend finde.«
Iggy verteidigt das internationale System. Es ist eigenartig. Die meiste Zeit beklagen Iggy und die anderen die Frevel der kapitalistischen Hegemonie (also praktisch alles auf der Welt). Jetzt aber sitzt Freeman vor ihnen und spricht genau das aus, was sie selbst oft genug sagen, und sie versuchen, ihm zu erklären, dass es doch alles nicht so schlimm sei. Vermutlich liegt das daran, dass die Tatsachen, wenn Freeman ibn Solomon sie vorträgt, einen Kontext bekommen und das Gefühl auslösen, alles
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