Die gelöschte Welt
mich zu führen. Ich bin zwar von ihnen abhängig, aber sie müssen auch ein wenig auf mich aufpassen. Sie sind in loco parentis, ich bin ihr Schutzbefohlener, bis wir das Ziel der Wanderung erreicht haben. Der auf meiner linken Seite beugt sich herüber. Zwei Stufen, eins, zwei, in Ordnung, anhalten … braver Junge. Er scheint ehrlich erfreut. Herumdrehen … jetzt. Setzen. So, da wären wir …
Sie pflanzen mich auf einen Stuhl. Er ist unbequem und feucht. Auf diesem Stuhl hat jemand mächtig geschwitzt und vielleicht nicht nur geschwitzt … es riecht irgendwie nach Bleichmittel. Sie lassen meine Kapuze, wo sie ist. Der Kerl auf der linken Seite – er hat sich bewegt, aber ich erkenne die Stimme – murmelt wieder: Also gut, du wirst dich benehmen, ja? Dann wird es dir viel besser gehen. Im Hintergrund lacht jemand über ihn und nennt ihn Mr Nice. Ja, sagt er, ja, verdammt, der bin ich. Daraus schließe ich, dass es auch einen Mr Nasty gibt. Mr Nice zieht sich zurück. Es wird etwas kühler, wenn er nicht mehr neben mir steht. Ich warte.
Dann höre ich ein lautes Scharren. Der Boden unter meinen Füßen ist aus Beton wie in einem gewöhnlichen Lagerhaus, rau und porös. Anscheinend hat jemand einen Stuhl vor mir aufgestellt. Es ist ein recht schwerer Stuhl, vielleicht ein Bürostuhl ohne Räder, aber jedenfalls keiner dieser Plastikstühle, die in Konferenzsälen benutzt werden. Ohne Rücksicht auf Nase und Kinn ziehen sie mir die Haube ab, was mir mehrere kleine Abschürfungen einträgt. Vor mir sitzt nun ein entspannter, fülliger alter Knacker in einer schmierigen Generalsjacke, der hier offenbar das Sagen hat.
Sein Gesicht erschreckt mich. Es ist groß und gerötet und mit bleichen Stoppeln übersät. Die Augen sind schmal und wirken klein, weil die Augenwinkel außen heruntergezogen sind, als hätte jemand seine Augenbrauen an die Wangen genäht. Ein Teil meines Gehirns erkennt dies als Mongolenfalte und liefert hilfreich gleich die Zusatzinformation, dass dies bei Menschen asiatischer Abstammung recht häufig, bei Europäern aber selten vorkommt (Letztere nennen die Amerikaner meist kaukasisch, obwohl die Leute im Kaukasus als bunt gemischter Haufen keineswegs weiß sind und ganz sicher nicht angelsächsisch aussehen) und manchmal mit dem Down-Syndrom in Verbindung gebracht wird. Da der Mann vor mir zweifellos kein Asiat ist und da es höchst unwahrscheinlich scheint, dass ein Mensch mit einem Down-Syndrom beim Militär einen so hohen Rang bekleidet, ist der General eine kleine biologische Kuriosität – aber auch dies ist nicht der Grund dafür, dass ich bei seinem Anblick erschrecke. Das Gesicht dieser Person erstaunt und erschreckt mich, weil ich ihn als George Lourdes Copsen kenne. Er ist der Vater von Gonzos Prinzessin Lydia, die in Esel vernarrt ist. Ich kenne ihn und weiß, dass er auch mich kennt. Das letzte Mal habe ich ihn auf einer Feier der Soames School an einem Stand gesehen, wo man die Anzahl der ausgelegten Bonbons erraten musste. George Copsen konnte nicht gut raten. Er hat überhaupt nicht geraten. Er hat einen Taschenrechner benutzt, die Schätzungen der etwa dreihundert anderen Teilnehmer durchgerechnet und eine Antwort gegeben, die präzise im Bereich der Fehlertoleranz lag (was hier bedeutet, dass trotz unserer Aufmerksamkeit beim Auszählen ein Erstklässler zwischen fünf und zehn Bonbons verdrückte). Jetzt beäugt er mich mit der Haltung eines Mannes, der längst im Bilde ist, die Akten eingesehen hat, über alles Bescheid weiß, kein weiches Kissen braucht und eine kleine Fernbedienung mit einem gefährlichen roten Knopf in der Hand hält. Alles auf einmal.
»Wie geht's denn so?«, fragt George Copsen nicht unfreundlich. Ich entschließe mich zu einem unbekümmerten Nicken, um ihm zu zeigen, dass ich die Situation völlig im Griff habe, obwohl mich gerade eine paramilitärische Einheit aus einem Club entführt und an einen Stuhl gefesselt hat. Leider haben sie auch irgendwie meinen Kopf fixiert, deshalb zerre ich mir ein paar Muskeln im Hals und komme mir wie ein Idiot vor. George Copsen grinst freundlich und schlägt mir vor, mit Worten zu antworten, also sage ich ihm, es gehe mir gut. Gut. Etwas nervös vielleicht, worauf George Copsen meint, das sei ja auch kein Wunder, aber er werde jetzt alles erklären.
»Alles, was du tun musst«, sagt George Copsen, »ist, uns zu sagen, wer dich angeworben hat, worüber die Zelle gesprochen hat, in welche Aktionen sie verwickelt war
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