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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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für ihren Lebensunterhalt arbeiten. Sie sind echte Gewerkschafter. Männer, die ihre Arbeitskollegen organisieren, um sich gemeinsam zu erheben und angemessene – aber nicht überzogene – Entlohnung und sichere Arbeitsbedingungen zu fordern. Sie haben Angst, was wiederum mir Angst macht, denn sie wissen mehr über solche Sachen als ich.
    »Die verdammten Nazis«, schimpft Sebastian. Iggy ist nicht sicher, ob sie das sind – die allzu häufige Benutzung von Vokabeln aus der Zeit des Holocaust ist kontraproduktiv, aber …
    »Wenn sie dich in einen Hühnerkäfig stecken«, sagt Sebastian entschieden, »und dich wie einen Untermenschen behandeln, sexy Uniformen tragen und behaupten, es diene dem Wohl des Ganzen, dann sind sie Nazis.«
    Daraufhin stürmen sie in die Zelle, zerren ihn hinaus und setzen ihm eine Kapuze auf. Sebastian geht aufrecht, aber als er die Tür erreicht, fängt er an zu weinen. Im Grunde »stürmen« sie auch nicht herein. Wir sehen sie ja kommen. Sie bewegen sich zielstrebig, und einige wirken in ihren schicken Uniformen muskulös, aber wenn sie die Tür aufreißen, ist das immer noch etwas ganz anderes als ihr Eindringen im Cork, nämlich durch die Küche des Butlers. Sie rufen nicht, sie werfen keine Blendgranaten, sie rempeln und stoßen uns nicht. Alles in allem erkennt man, dass sie viel Übung haben und über große kinetische Energie verfügen. Sie strahlen eine Macht aus, die uns zurückweichen lässt und es ihnen erlaubt, Sebastian aufzuheben und wegzuschleppen, als wöge er überhaupt nichts. Sie bringen ihn nicht zurück. Wir rechnen damit, aber sie kommen nicht. Sie bringen überhaupt keinen zurück, allmählich wird es leer und still im Lagerhaus. Meine Angst wächst.
    Ich rede. Fast alle anderen schweigen, die meisten sitzen auf dem Boden oder lehnen sich im Stehen an, aber ich schreite umher, und mein Mund arbeitet wie von selbst. Ich will wissen, ob dies rechtmäßig ist, und wenn nicht, ob das gut oder schlecht für uns ist. Ich erkundige mich, ob irgendjemand Erfahrung mit Verhaftungen oder eine juristische Ausbildung hat, und Barry (der zweite Gewerkschafter) weist mich darauf hin, dass jemand, auf den dies zutrifft, es wohl kaum in einer Arrestzelle zugeben würde, die möglicherweise abgehört wird. Das hält mich eine Weile davon ab, weitere Fragen zu stellen, regt mich aber an, nach Abhörgeräten zu suchen, bis Iggy mich darauf hinweist, dass sie nicht unbedingt sichtbar sein müssen. Ich suche trotzdem weiter, weil ich sie vielleicht doch finde und eigentlich sogar finden müsste, bis Iggy mir sagt, ich solle mich beruhigen und mich, verdammt noch mal, hinsetzen. Dann kehren die Männer zurück. Barry geht zu ihnen und gibt ihnen die Hand, aber sie verscheuchen ihn. Sie gehen um ihn herum und an mir vorbei, zerren Iggy energisch heraus und bedecken auch seinen Kopf. Als er stolpert, schleifen sie ihn mit, bis seine Füße wieder Schritt halten.
    »Nicht gut«, sagt Barry.
    »Warum nicht?«
    »Wenn sie uns in einer bestimmten Reihenfolge herausholen, dann wissen sie, wer wir sind.«
    Wenn sie wissen oder glauben zu wissen, wer wir sind, dann war unsere Festnahme kein Versehen. Sie glauben, auf irgendetwas gestoßen zu sein. Barry zuckt mit den Achseln und setzt sich wieder. Offensichtlich, sagt er, werden diejenigen, die sie abholen, einfach in getrennte Bereiche gesperrt, damit sie uns nicht auf das vorbereiten können, was kommt. Es wird schon gut gehen. Vielleicht dauert es eine Weile, aber am Ende wird sich alles aufklären.
    Ich habe mich besser gefühlt, als er es noch nicht für nötig hielt, mich zu beruhigen, und ich wünschte, er würde nicht so zittern. Ich mache mir Sorgen, ich könnte hier sterben und auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Ich sage mir, dies sei bereits ein Teil des Verhörs. Es hilft aber nicht.
    Die Männer kehren zurück, die Stiefel des Offiziers hinterlassen kleine dunkelrote Abdrücke. Ich hoffe bei Gott, dass er über ein frisch gemaltes Verkehrszeichen gelaufen ist, weiß aber, dass dies nicht zutrifft. Sie holen Barry, der mir zunickt und sagt: »Halte durch«, was sie so sehr reizt, dass sie ihm einen Knebel verpassen, ehe sie ihm die Haube aufsetzen. Zwanzig Minuten oder eine Ewigkeit später gleitet raues Segeltuch, das stark nach irgendeinem billigen Rasierwasser riecht, über meinen Kopf.
    Mit einer Kapuze zu laufen, ist komisch. Ich kann nichts sehen und nicht richtig hören. Die Nicht-Soldaten müssen meine Arme halten, um

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