Die gelöschte Welt

aufzupassen, mit wem ich mich einlasse. Aline sehe ich erst Jahre später auf einer Junggesellenparty wieder. Sie starrt ein raffiniertes Bild namens Du kommst und gehst an,das auf das erotische Milieu von Vom Winde verweht anspielt. Der männliche Hauptdarsteller (der bekannte und potente Filmschauspieler Coitus Clay) führt darauf ebenso subtil wie geschmackvoll mithilfe ungewöhnlicher Penetrationen eine ganze Reihe hübscher Damen auf schier unglaubliche Ebenen der Verzückung. Obwohl es schamlos pornografisch ist, strahlt Du kommst und gehst eine eigenartige Naivität aus, eine Art von Sicherheit, die vielleicht darin begründet ist, dass Coitus Clay ausgesprochen liebevoll mit seinen Partnerinnen umgeht. Die Identifizierung ist schwer, weil er überwiegend von unten dargestellt wird, aber nach einer Weile kann ich Sebastians gemeißelte Gesichtszüge aus der lustvoll verzerrten Grimasse herausschälen.
    Eine Folge meiner Nahtoderfahrung auf dem elektrischen Stuhl ist, dass ich mich auf die Arbeit stürze und zu meiner eigenen, nicht unerheblichen Überraschung mit guten Noten belohnt werde: Ich gehöre zu den Besten des Jahrgangs. Gonzo hat eher mittelmäßig abgeschnitten, was ihn aber nicht im Mindesten stört. Dies ist nun eine weitere Premiere: Bei etwas, das die Welt für wichtig hält, bin ich meinem Freund voraus.
     

4 Anstellung gesucht und gefunden • Das Wesen des Universums • Gonzo mal wieder
     
    »Mr, äh, ach ja, hallo. Ich verstehe. Entschuldigung. Äh … Ms Brent, bitte?«
    Oleana Brent ist die dritte Person, die im Büro von Tolcaster & Ream Bockspringen mit mir übt. Nicht, dass sie körperlich über mich hinweggehüpft wäre. Oleana Brent ist ein würdevolles, skelettdürres Wesen, das sicher nicht riskieren würde, seine kühle Überlegenheit zu unterminieren, indem es sich im Warteraum einer Firma auf gymnastische Übungen einlässt, selbst wenn dies eine Firma wäre, die solcherlei Ertüchtigungen begrüßte. Vielmehr sitzt sie mürrisch und einsam mit einem Becher Schonkaffee aus dem Automaten da und liest eine mitgebrachte Zeitschrift ohne Bilder. Sie hebt sogleich den Kopf und marschiert ins Büro, als rechnete sie damit, in kaltes Wasser geworfen und von Kindergärtnerinnen geneckt zu werden.
    Martin Raddle war so freundlich, darauf hinzuweisen, dass ich auf der Liste vor ihm stand, als Susan de Vries (Stellv. ltd. Vizepräs. Personalbüro@T&R-GmbH, aber nicht mfg, zbV oder iV, auch wenn sie sich zweifellos Mühe gibt) ihn irrtümlich vor mir hereinrief. Susan de Vries wedelte mit der Hand, um anzudeuten, dass es am Ende gleich sei, und Martin ging mit einem verlegenen Grinsen hinein. Eine ähnlich wedelnde Geste machte de Vries, als ich sie höflich davon abhalten wollte, den gleichen Fehler bei Govinda Lancaster zu wiederholen. Jetzt marschiert Oleana Brent ins Allerheiligste, und mir wird klar, dass das Spiel längst vorbei ist. Nach vier Jahren studentischem Gerangel erkenne ich sofort, wenn jemand mit gezinkten Karten spielt, und hier soll es offenbar darum gehen, mich möglichst elegant loszuwerden. Und siehe da, mein für neun Uhr angesetztes Bewerbungsgespräch ist auf einmal das letzte an diesem Tag, kann aber leider nicht mehr in den Terminkalender gezwängt werden. Ob ich vielleicht nächste Woche noch einmal vorbeikommen wolle?
    Ich gehöre zur Elite des bildungstechnischen Produktionsprozesses. Es ist sinnlos, nächste Woche wiederzukommen. Ich bin nicht der gesuchte Superstar, sondern bekomme einen Tritt in den Hintern, und falls ich nächste Woche tatsächlich zurückkehre, wird vermutlich eine Massenflucht durch den Hinterausgang des Gebäudes einsetzen. Ich bin gewogen und für zu leicht befunden worden, ohne jemals die Waage gesehen zu haben. Ich weiß es, weil ich dieses Gefühl kenne. Aus irgendeinem Grund haben sie sich hinter den Kulissen längst entschieden.
    Bei Brightling Fourdale Klember klärten mich zwei gelangweilte Mitarbeiter gleich am Anfang darüber auf, sie hätten ihre Kandidaten für das laufende Jahr schon ausgewählt – und dann komplimentierten sie mich hinaus, um mit einem vielversprechenden jungen Mann von der Lister School of Economics zu reden. Melisance-Vedette-Farmer Inc. antwortete nicht einmal auf meinen Brief. Auch Tolcaster & Ream ist nicht daran interessiert, mich zu sprechen. Ich verschwinde freiwillig, ehe mich die Wachmänner hinaustragen.
    So geht es weiter. Sempier & Hoit wünschen mich nicht einzustellen. Ebenso