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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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nichts zurücklassen – nicht einmal Bedauern. Dann haben sie die perfekte Waffe hergestellt.
    Damit können sie den Feind einfach entfernen.
     
    Meine Ausbildung besteht aus einer Mischung aus Sitzungen mit Professor Derek, die sich um das notwendige grundlegende Verständnis seiner Theorie (Radius des Feldes, Wechselwirkung der Energie, Fragen der Überlappung, Abstrahlsysteme) und den Werdegang eines Offiziers drehen. Letzteres beinhaltet vor allem zu lernen, wie man ein »Kämpfer« wird – die Militärgeschichte kennt zahlreiche Leute, die es nicht gelernt haben und daher mit heldenhaften, blutigen Schnapsideen und Worten wie »Niederlage« und »verzweifelte Lage« in Verbindung gebracht werden. Es heißt »Kämpfer« und nicht »Soldat«, weil der Begriff »Soldat« umstritten ist. Einige unserer Ausbilder sind Marines, die das Wort »Soldat« nur benutzen, wenn sie ihre tiefste Verachtung zum Ausdruck bringen wollen. Einige andere sind Flieger, denn sie gehören zu einer Spezialeinheit, die aus großer Höhe abspringt und erst möglichst weit unten den Fallschirm öffnet. Diese Leute betrachten die Marines und die Army mit ähnlicher Verachtung, weil zu deren Ausbildung nicht das Atmen in dünner Luft gehört. Und dort weiß natürlich auch niemand, was zu tun ist, wenn sich der Fallschirm nicht öffnet (ich hätte angenommen, dass man nicht viel tun kann, außer um einen möglichst schnell einsetzenden Ausfall der Schwerkraft zu beten. Offenbar gibt es aber eine Möglichkeit, einen Fallschirm mit der Hand auszupacken, was in 43 Prozent aller Fälle zum Überleben der Leute führt, und das sei auf jeden Fall besser, als es gar nicht erst zu versuchen).
    Diese Damen und Herren lassen uns sehr lange durchs Gelände und über Hindernisstrecken laufen, die natürlich grausam, kalt und widerlich sind. Das größte Elend ist die Langeweile. Wacklige Beine und überlastete Muskeln werden irgendwann taub, sogar an die Schmerzen gewöhnt man sich, aber jeden Tag Meilen und Meilen auf dem gleichen Weg zu laufen, während einem die immer gleiche Dutzendware von Beleidigungen entgegengeschleudert wird, ist langweiliger als alles, was Sie jemals erlebt haben. Die Ausbilder sind wahrscheinlich ebenso gelangweilt, was sie in Form von klischeehaften Aggressionen und den obligatorischen wütenden Schreien ausleben. Sobald wir in einer ausreichend gelangweilten militärischen Form sind und mit voller Ausrüstung laufen können, ohne in den Knien einzuknicken, werden wir an Ronnie Cheung überstellt, der jeden auf der Welt mit Ausnahme von Ronnie Cheung als gottverdammten Idioten betrachtet.
    Ronnie Cheung wuchs in Hongkong auf, als es noch zu Cubritannia gehörte, oder vielmehr, als der Pachtvertrag zwischen dem Vereinigten Königreich und der Volksrepublik China noch in Kraft war. Er soll uns in allen möglichen Kampftechniken ausbilden. Er ist klein, vierschrötig und schaut fast immer finster drein. Die Lektionen beginnen nicht mit Liegestützen oder Laufen, sondern mit einem Vortrag in dem Raum, in dem uns Professor Derek mit seinem Genie bekannt machte. Er stützt sich auf das Rednerpult, es gefällt ihm nicht, und er stößt es weg. Er setzt sich auf die Kante des Podiums, damit wir uns die Hälse verrenken müssen, um ihn zu sehen. Ronnie Cheung zu betrachten, ist allerdings für niemanden ein beliebter Zeitvertreib, denn er ist keine angenehme Erscheinung – breite Schultern, große, hässliche Fingerknöchel und ein mächtiger Kahlkopf. Außerdem hat er stets ein höhnisches Grinsen aufgesetzt. Er hat uns auf den ersten Blick eingeschätzt und ist von der minderwertigen Ware abgestoßen.
    »Was ist die gefährlichste Waffe, die im Laufe ihres Lebens von den meisten Menschen mindestens einmal eingesetzt wird?«, verlangt Ronnie Cheung zu wissen.
    »Eine Pistole«, sagt sofort jemand, woraufhin Ronnie Cheung mit den Lippen ein furzendes Geräusch erzeugt.
    »Ein Küchenmesser«, schlägt jemand anders vor. Ronnie Cheung schüttelt den Kopf. Da es diesmal keine imitierten Flatulenzen gibt, schließen wir, dass es zwar falsch, aber wenigstens auf eine zulässige Art und Weise falsch ist. Also Objekte des alltäglichen Lebens. Nudelrollen? Beile? Nein, nein, nein. Irgendjemand hat eine Idee.
    »Der menschliche Körper.«
    Ronnie Cheung hebt eine Hand: Wir sollen aufhören.
    »Mein Körper«, erklärt er uns, »ist eine tödliche Waffe. Eure Körper sind Säcke, in denen ihr eure inneren Organe herumschleppt.« Er

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