Die gelöschte Welt
den verdammten Kopf abgerissen hat. Und er ist eine Schwuchtel, um nicht zu sagen, ein Homosexueller, um nicht zu sagen, dass er lieber Würstchen als Fisch zu sich nimmt. Aber er ist hart wie ein Nagelbrett! Sie dagegen sind weicher als ein Babyarsch! Und jetzt verpissen Sie sich, und gehen Sie trainieren!«
So funktioniert die sokratische Methode bei Ronnie Cheung. Es ist eine mächtige Motivationstechnik, die er im Laufe vieler Jahre entwickelt hat. Sie funktioniert am besten, wenn jeder sie äußerlich ignoriert, während er sich innerlich schämt und sich auf unmögliche Aufgaben stürzt, um als (wie er es ausdrückt) astreine Banane wieder herauszukommen. Sergeant Hordle hört nicht darauf. Er rappelt sich auf und trabt zu einer der Gruppen von Auszubildenden, wo er sich einreiht und nach kurzer Zeit unter Beweis stellt, dass er wirklich sehr, sehr gut ist.
Ronnie Cheung beäugt ihn ungnädig und brüllt, da er schon einmal dabei ist, noch ein paar andere Leute an. Schließlich blickt er in die Ecke des Hofes, wo wir stehen, und sein Blick bleibt an uns hängen. Mehr und mehr konzentriert er sich auf mich, schätzt mich ein und scheint nicht sehr begeistert von dem, was er sieht. Er schlendert herüber, betrachtet mich aus der Nähe und grunzt. Ich setze hier nicht das ein, was ich bei Meister Wu gelernt habe, sondern behandle die Ausbildung als ein ganz neues Gebiet. Ich lerne jetzt den harten Stil, als hätte ich den weichen nie gekannt. Das sollte man nicht durcheinanderbringen – aber man kann beides lernen und es eines Tages kombinieren, wenn man weit genug ist. Im Augenblick schlage ich auf einen Sack mit Drahtwolle ein, um meine Finger abzuhärten. Ich mache das ohne große Begeisterung, weil ich den Befehl habe, meine Hände zu schonen, um das Waffensystem zu bedienen, falls ich jemals im Ernstfall eingesetzt werden sollte. Dass ich zugleich den Befehl habe, mich zum tödlichen Nahkämpfer ausbilden zu lassen, ist einer von diesen inhärenten beschissenen Widersprüchen, die, wie ich inzwischen weiß, nun einmal ein Teil des Weltgetriebes sind.
»Und wer ist dieser Penner?«, verlangt Ronnie Cheung zu wissen.
»Das ist …«, beginnt Richard P Purvis. Offenbar wundert er sich, dass Ronnie meinen Namen nach drei Monaten immer noch nicht kennt, aber Ronnie Cheung beobachtet nicht mich, während ich seinen Übungssack mit Fausthieben eindecke, sondern er starrt einen Stapel Gerätschaften und Vorräte, der in der Ecke des Hofes liegt, an.
»Nein, nicht dieser Penner«, sagt Ronnie, »sondern der Penner da!« Er starrt eine Kiste mit Übungsmunition und Übungsmessern an. »Der Penner, der glaubt, er könnte sich mit einem Haufen billigem Mist von den Spezialeinheiten auf meinem Trainingsplatz verstecken.« Damit streckt er die Hände aus, greift in das hinein, was ich für den Schatten einer Lagerkiste gehalten hätte, und kommt, wilde Hiebe mit einer breiten, tödlichen und ganz in Schwarz gekleideten Gestalt austauschend, wieder zum Vorschein.
Dann passieren sehr schnell mehrere Dinge auf einmal. Der Mann – es ist eindeutig ein Mann – schlägt mit einer Art Polizeiknüppel zu, der am Ende in eine Peitsche ausläuft, und bearbeitet Ronnie Cheungs Kopf. Oder vielmehr, er würde ihn treffen, wenn Ronnie nicht die Hände gehoben hätte, um sein Gesicht zu schützen, das genäht werden müsste, wenn die Peitsche ihn zu fest träfe. Ronnie scheint es nicht zu stören, dass die Haut auf seinen Unterarmen aufreißt. Er blockt einfach das Ding ab und weicht zurück. Ich hätte mich an seiner Stelle ganz außer Reichweite der Peitsche gebracht und mir einen langen, kräftigen Stock geschnappt, um ihn als Stab im Kampf einzusetzen. Aber Ronnie ist entweder zu stolz dazu, oder er kann Stäbe nicht leiden und will die Schläge lieber einstecken und warten, bis ihm der Gegner näher kommt, was jetzt auch geschieht. Der schwarz gekleidete Kerl macht mit dem Peitschenstock einen Fehler, und Ronnie schlägt ihm das Ding mit einem mächtigen Haken, der höllisch wehtun muss, aus der Hand. Am linken Arm scheint schon Ronnies Knochen durch die Haut, aber er blutet nicht sehr stark. Das ist das Ziel all der Übungen, die er absolviert: irgendwann sind verschiedene Körperteile gegen normale Verletzungen weitgehend immun.
Ronnie lässt eine längere, energische Kombination los, die wuchtigen Schläge fallen unregelmäßig, und er tänzelt hin und her, um den Winkel zu verändern und seinen Körper aus dem Bereich
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