Die Genussformel: Kulinarische Physik (German Edition)
reizen. Mit der Genauigkeit müssen Sie es hier ausnahmsweise nicht so gründlich nehmen – Zwiebeln zerkochen, diese sollten aber schon zerkleinert werden.
Die Zwiebeln kommen dann in einen großen Topf und werden mit etwas Fett goldgelb angeröstet. Wenn sie eine goldgelbe Farbe haben, gibt man zwei Kilogramm Rindfleisch dazu. Das Fleisch sollte in Würfel mit rund zwei bis drei Zentimetern Kantenlänge geschnitten sein.
Jetzt würde meine Großmutter sagen, sollte es sich um einen Wadschinken (Rinderhesse) handeln, denn der ist zäh und stark von Sehnen durchwachsen. Ich aber sage, es sollte ein Fleisch frei von Sehnen sein, es muss aber auch nicht gerade ein Rinderlungenbraten sein. Erkundigen Sie sich bei Ihrem Fleischhauer, was er gerade im Angebot hat, sagen Sie ihm aber nicht, was Sie vorhaben, denn dann wird sich in Ihrem Einkauf ein Wadschinken befinden, egal ob Sie wollen oder nicht.
Für die Feinspitze unter uns: Man könnte das Fleisch noch etwas bemehlen und erst dann zu den goldgelben Zwiebeln dazugeben. Wie wir später noch sehen werden, bilden sich aufgrund der Maillard-Reaktion mehr Geschmacksstoffe, als wenn das Fleisch nicht bemehlt worden wäre.
Nachdem auch das Fleisch etwas Kruste gebildet hat, geben Sie das Paprikapulver dazu, zwei bis drei Esslöffel süßen und einen Esslöffel scharfen Paprika. Ehe Sie den Paprika hinzufügen, sollten Sie ein Glas mit kaltem Wasser bereitstellen. Sobald der gesamte Paprika beim Fleisch und den Zwiebeln ist, nur einmal kurz umrühren und dann sofort mit kaltem Wasser ablöschen. Danach noch einmal umrühren und mit Wasser so weit aufgießen, bis das Fleisch komplett mit Wasser bedeckt ist. Der Paprika darf unter keinen Umständen zu lange einer zu hohen Temperatur ausgesetzt sein – er wird sonst bitter. Nun kann man natürlich noch weiter würzen. Je nach persönlichem Geschmack: ein paar Körner Kümmel, etwas Majoran oder zwei Esslöffel Tomatenmark oder Ketchup – das Salz nicht vergessen. Man kann auch einen Teil des Wassers durch etwas Rotwein ersetzen. Wie Sie unschwer erkennen, ist das Gulaschrezept ein nicht chaotisches: Wir können die Menge der Anfangszutaten leicht variieren und erhalten leicht unterschiedliche Ergebnisse, die alle ungefähr gleich gut schmecken. Bei einem chaotischen Rezept dürften wir nicht den Hauch der Rezeptur ändern, sonst wäre das Ergebnis katastrophal.
Nachdem das Gulasch zwei Stunden auf kleiner Flamme geköchelt hat, schalten Sie die Herdplatte aus – und fragen sich, ob Sie etwas vergessen haben könnten. Das Gulasch riecht gut, aber die Sauce ist nicht sämig, sondern sie ähnelt einer dünnen Brühe. Nun würde meine Großmutter wohl sagen, dass man mit Mehl nachhelfen könnte. Aber vergessen wir nicht, dass wir Fleisch verwendet haben, das im Vergleich zu sehnigem Fleisch wenig Knorpel aufweist. Es fehlt das Kollagen, dass uns eine schöne Bindung macht.
Nun gäbe es zwei Möglichkeiten. Mit dem Fleisch werden ein paar Stück Ochsenschlepp in das Gulasch gegeben. Der Ochsenschlepp besteht fast nur aus Kollagen – wenn sich das herauslöst, liefert es eine wunderbare Bindung. Zusätzlich gibt es immer ein paar Personen, die sagen, dass ihnen ein Gulasch nur dann schmeckt, wenn sie auch Sehnen zu zerbeißen haben. Diesen können Sie dann den Ochsenschlepp auf dem Teller servieren – sie werden überglücklich sein. Für die Personen, die auf den sehnigen Teil verzichten wollen, einfach den Ochsenschlepp auslösen, sprich das noch verwertbare Fleisch herausschneiden, zurück zum Gulasch geben und den Rest wegschmeißen.
Eine andere Möglichkeit – ohne Ochsenschlepp – besteht in der Verwendung von Gelatineblättern. Sie sind in jedem Lebensmittelgeschäft, meist in der Abteilung für Süßwaren, erhältlich. Es gibt auch ein Gelatinepulver. Diese Blätter können gegen Ende des Kochvorganges untergerührt werden. Sie sollten aber vorher kurz in warmem Wasser angefeuchtet werden. Ebenfalls dürfen sie nicht in das kochende Gulasch eingerührt werden – die einzelnen Moleküle werden ab 80 °C zerstört, und das Kollagen kann nicht mehr gelieren. Das ist auch der Grund, warum man das Gulasch nur leicht köcheln lassen sollte und unter gar keinen Umständen kochen darf. Dabei würde das mühselig herausgelöste Kollagen zerstört werden. Sie sollten auch kein Gulasch im Druckkochtopf zubereiten, außer Sie möchten eine Gulaschsuppe haben – auch hier wird das Kollagen
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