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Die gepluenderte Republik

Titel: Die gepluenderte Republik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Wieczorek
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der Kirchensteuer durch den Staat der grundgesetzlichen Trennung von Staat und Kirche widerspricht, ebenso wie die Tatsache, dass abhängig Beschäftigte wegen des Eintrags auf der Lohnsteuerkarte ihre Religionszugehörigkeit vor dem Arbeitgeber nicht geheim halten können (»negative Religionsfreiheit«). Alles zusammengenommen, handelt es sich um eine Form der Ausplünderung des Staates, die juristisch und moralisch auf äußerst wackligen Füßen steht.
Plünderkritik pervers
    Für manche Zeitgenossen sind nicht etwa die Banken, Konzerne und Superreichen die Plünderer, sondern die kleinen Leute. »Legale Plünderei« ist es für
Focus Money
, wenn Bürger ihre Rechte in Anspruch nehmen. So wird der Ratgeber
Mein Recht auf Sozialhilfe
des Sozialrechtsprofessors Albrecht Brühl als»Anleitung zur Plünderung des Sozialstaates« diffamiert. Beileibe nicht nur »Florida-Rolf« und »Viagra-Kalle«, sondern pauschal alle Hartz-IV-Empfänger gelten den Neoliberalen und dem Mob sowieso als Sozialschmarotzer, wobei der Pöbel sogar Rückendeckung vom damaligen Kanzler Gerhard Schröder bekam: »Es gibt kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft.« Und wenn Niedriglöhner wie etwa Friseurinnen mit drei Euro brutto pro Stunde noch weniger verdienen, dreht man den Spieß einfach um: Da es ungerecht sei, wenn man ohne Arbeit mehr hat als mit, müssten nicht die Friseure mehr Geld erhalten, sondern die Arbeitslosen weniger.
    Altbundespräsident Roman Herzog zählt sogar die Senioren zu den Plünderern. Nach einer Rentenerhöhung von mickrigen 1,1 Prozent sprach er davon, dass »die Alten die Jungen ausplündern«. 178 In diesem Zusammenhang erstaunt es einen immer wieder, dass gerade die wahren Asozialen, nämlich die meisten Bezieher leistungsloser Rieseneinkommen, jede Kritik an halbseidenen oder gar quasikriminellen Steinreichen und deren horrenden Subventionen oder aberwitzigen Steuergeschenken als »Sozialneid« diffamieren, während sie selbst, ihre Politiker und ihre Medien kaum eine Möglichkeit ungenutzt lassen, den Neid gegenüber den Ärmeren und sogar den Normalbürgern systematisch zu schüren. Unvergessen sind die Ausfälle des damaligen Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin, der den Hartz- IVEmpfängern einen Speiseplan für 4,25 Euro vorschlug und gegen einen Mindestlohn von 7,50 Euro stänkerte: Er selbst (Gehalt über 10 000 Euro) würde auch für fünf Euro arbeiten.
    Dass »der Brandstifter« (
Frankfurter Rundschau
) seine Hasstiraden mit zumindest stillschweigender Billigung Klaus Wowereits absondern konnte, ergibt sich aus der simplen Tatsache, dass er nicht sofort hinausgeworfen wurde, sondern noch mehr als ein Jahr Stimmung gegen die Unterschichten machen durfte, bevor er im Mai 2009 auf Vorschlag der Länder Berlin undBrandenburg zur Bundesbank wechselte. Dort wiederum legte er erst richtig los: »Türkische Wärmestuben können die Stadt nicht vorantreiben … Die Araber und Türken haben einen zwei bis dreimal höheren Anteil an Geburten, als es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht. Große Teile sind weder integrationswillig noch integrationsfähig … Die Türken erobern Deutschland … durch eine höhere Geburtenrate. Das würde mir gefallen, wenn es osteuropäische Juden wären mit einem um 15 Prozent höheren IQ als dem der deutschen Bevölkerung.« Urteil des Zentralrats der Juden: »Sarrazin steht in der Tradition Hitlers.« Schließlich wurde es sogar den Strafverfolgungsbehörden zu bunt: »Sarrazin beschäftigt die Justiz«, titelte die
Berliner Morgenpost
am 1. Oktober 2009. »Die Staatsanwaltschaft prüft ein Verfahren wegen Volksverhetzung.«
6. Der enteignete Staat
     
    Die Privatisierung der Infrastruktur bedeutet in neunzig von hundert Fällen eine empfindliche Verschlechterung der Lebensqualität: Wucherpreise, Unzuverlässigkeit oder beides:
    Wozu die hemmungslose Profitgier führt, zeigt beispielhaft der Skandal um die Berliner S-Bahn im Sommer 2009, der unter anderem zur Auswechslung des gesamten Vorstands führte. Nach einem Radbruch am 1. Mai hatte man sich zu bestimmten Fristen bei der Überprüfung ihrer Züge verpflichtet, sich aber nicht daran gehalten. Daraufhin hatte das Eisenbahn-Bundesamt einen großen Teil der Fahrzeuge stillgelegt, was zu Verspätungen und dazu führte, dass zeitweilig aus Sicherheitsgründen nur noch jeder vierte Zug fahren konnte. Dass sich dasselbe Chaos im Spätsommer wiederholte – diesmal wegen defekter Bremsen –, ließ den

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