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Die gepluenderte Republik

Titel: Die gepluenderte Republik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Wieczorek
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sind häufig schlecht auf den Schulalltag vorbereitet. Unterm Strich fehlen also nach vorsichtigen Schätzungen schon jetzt 20 000 Lehrer.
    Folge des Lehrermangels wird laut Klemm ein noch härterer Wettbewerb unter den Ländern sein, vor allem in den Fächern Mathematik und Informatik. Aber selbst bei dieser Berechnung wird eine Klassenstärke vorausgesetzt, die die Schönen und Reichen für ihre Kinder als unzumutbar empfinden würden. Kurzum: Für eine menschenwürdige Ausbildung fehlen bedeutend mehr Pädagogen.
    Eine besonders originelle Idee hatte die damalige Bildungsministerin Annette Schavan. Ausgerechnet die viertelgebildetenGroßkotze, deren Ideologie uns an den Rand des Ruins getrieben hat – also die Manager –, sollten in den Schulen als Lehrer fungieren. Dieser Scherz war so schlecht, dass er schon fast wieder gut war. Der Legasthenikersender Viva, der Schmuddeltalk mit Oliver Geißen und die unsäglichen Gerichtsshows wären harmlos gewesen gegen das, was die Ökonomie-Versager den lieben Kleinen aufs Auge und ins Hirn gedrückt hätten.
Die Plünderung der Schulbildung
    Wenn aus Gründen der Sparsamkeit und der Privatisierung das Wort
Pisa
eines der bekanntesten der deutschen Sprache wurde und die Regierung für die indirekte Finanzierung der Boni von Pleitemanagern wie denen von der HSH Nordbank mehr Geld locker macht als etwa für die dringende Renovierung von Schulen, dann sollten unsere Politiker zum Problem »Verantwortung für morgen« lieber schweigen. Besonderer Treppenwitz: Von den vier Milliarden Euro, die der Bund von 2003 an für den Ausbau von 10 000 Ganztagsschulen zur Verfügung stellt, wurden 400 Millionen von den Ländern gar nicht erst abgerufen, und es gibt bislang auch erst 6918 solcher Schulen, die teilweise auch nicht neu geschaffen, sondern nur renoviert wurden. 168
    Derzeit besuchen nicht einmal neun Prozent der Kinder eine sogenannte »gebundene Ganztagsschule«, die für alle ein verbindliches Programm bis in der Regel 16 Uhr vorsieht. Dabei sind die Unterschiede unter den Ländern gewaltig. So gehen in Thüringen und Berlin schon über 40 Prozent der Kinder in eine Ganztagsschule – in Sachsen sogar mehr als jedes zweite Kind. In Hamburg sind es 33 und in Bremen nur 16 Prozent. Jämmerliches Schlusslicht ist Bayern, wo gerade mal vier Prozent der Schüler an einer Ganztagsschule unterrichtet werden. 169
    Geradezu beschämend aber wird es, wenn man sich vor Augenführt, dass Deutschland nicht einmal die 70 Millionen aufbringen kann, die für ein Schulessen bedürftiger Kinder notwendig wären. 170
     
    Im Widerspruch zur praktischen Politik wird das Thema Bildung von allen Parteien verbal sehr hoch gehängt, aber Vorsicht: Über Bildungsinhalte wird wohlweislich nur verhalten oder am Rande diskutiert. Schließlich gilt Bildung nicht mehr als Grundrecht für alle Menschen. Sondern als Dienstleistung, die man sich leisten will und je nach Geldbeutel leisten kann oder nicht. Dem entspricht die Ablösung des Ziels der sozialen Gerechtigkeit durch das der Chancengleichheit. Motto: »Jeder hat die Chance, Astronaut zu werden!«, lästert Gerlinde Schermer, langjährige SPD-Parlamentarierin im Berliner Abgeordnetenhaus. »Wer das ›Angebot‹ nicht nutzen kann, hat eben Pech!« 171
    Hinzu kommt: Die Tests über das schulische »Wissen« entwickelt die neoliberale Bertelsmann-Stiftung. Also wird der schulische »Erfolg« an den Vorgaben einer Einrichtung gemessen, die sich die Vermarktung des Wissens und seine Verwertbarkeit auf ihre Fahnen geschrieben hat. Wer sich nicht an die Bertelsmann-Vorgaben hält, erzielt bei den Tests schlechte Ergebnisse.
    Wer nämlich die Tests kontrolliert, kann auch die Inhalte bestimmen. Denn daran müssen sich nicht nur die Schüler, sondern auch die Schulen messen lassen, wenn sie nicht in dubiosen Rankings weit unten landen wollen. »Und wenn der Abfragende dann auch gleich noch die Lehr- und Lernmittel ausliefert, die die ›richtigen‹ Inhalte vermitteln, dann hat er die Herrschaft über das Bildungswesen gewonnen. 172
    Das Ganze führt zu immer mehr Privatschulen, die ihren Schülern zielgerichtet den neoliberalen Schrott eintrichtern, den sie für die Tests brauchen. »Daher zwingt man alle bildungsorientiertenSchichten, einen nicht unbeträchtlichen Teil ihrer Einkommen in die ›Bildung‹ ihrer Kinder zu investieren – und damit in Wahrheit die Konzerne der Bildungsdienstleistungen zu finanzieren.« 173 Es geht also nicht nur um die

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