Die gepluenderte Republik
Streek »lässt sich die Geschichte der Finanzkrise am besten erzählen, wenn der Staat in ihr statt als zurückgekehrter Souverän als Opfer einer großflächigen Erpressung auftaucht. Diejenigen, deren Profitpoker das Finanzsystem ruiniert hat, konnten sich immer darauf verlassen, dass die Regierungen ihnen zu Hilfe kommen würden. Die Banken, die ihresgleichen nicht mehr trauen und deshalb der Wirtschaft den Geldhahn abdrehen, nehmen damit nicht nur diese, sondern die Bevölkerung insgesamt als Geisel. Geld her – oder ein verlorenes Jahrzehnt wie in den 90er-Jahren in Japan oder gar eine verlorene Generation wie weltweit in den 30er-Jahren! Was hätten die Staaten anderes tun sollen als zahlen?«
Andererseits fragt er optimistisch: »Kehrt der rheinische Kapitalismus zurück? Erleben wir statt eines Absterbens des Staates einen neuen Primat der Politik über die Wirtschaft – Sozialdemokraten zur Freude, Liberalen zum Horror?« Fest stehe, »dass die Zeiten der Liberalisierung vorbei sind, egal ob man das fürchtet oder lange erhofft hat. Der Staat kommt zurück: als Regulierungsinstanz, national oder im internationalen Verbund, als Finanzierer oder gar Eigentümer von Banken und Industrieunternehmen, als Planer der Märkte und Beschützer der Arbeitnehmer.« 246
2. Operation »Weiter so!«
»Niedrigzinsen und Bilanzpolitur: Die Politik hat den Banken in der Krise das Leben so leicht wie nur möglich gemacht«, schreibt Nils-Viktor Sorge Mitte Juli 2009 in
Spiegel Online.
»Doch statt die Wirtschaft verstärkt mit Krediten zu versorgen, drehen die Finanzinstitute auch dank der Hilfen schon wieder am großen Rad – mit möglicherweise fatalen Folgen.« 247
Wo eben noch der große Frust und Weltuntergangsstimmung waren, herrscht urplötzlich wieder blanke Euphorie. Satte Gewinne werden eingefahren, und damit sprudeln auch wieder die verpönten Boni – die gestern noch »notleidenden« Banken kehren zu den alten, verhängnisvollen Geschäftsmodellen zurück. Ausgerechnet Zentralbanken und Politik ermöglichen dies mit Niedrigstzinsen, Bad Banks und gelockerten Bilanzgesetzen. Die groß angekündigte strengere staatliche Regulierung ist Schnee von gestern.
»Geht also alles wieder von vorne los?«, fragt
Spiegel Online
. »Werden die Banken künftig erneut in der Lage sein, hohe Risiken einzugehen und diese in ihren Bilanzen zu verstecken?« Und es war einmal mehr die SPD in Gestalt von Finanzminister Peer Steinbrück, die mit neuen, gelockerten Regeln zur Bilanzierung des Eigenkapitals den Startschuss für das »Weiter so« gab: Verlieren von einer Bank gehaltene Papiere an Wert, so geht dies in den Bilanzen nicht mehr zu Lasten des Eigenkapitals. Damit erhalten die Geldhäuser mehr Spielraum für die Kreditvergabe – aber eben auch für riskantere Geschäfte. Wann eigentlich werden Gummibärchen mit 10 000 Euro pro Stück als »Eigenkapital« akzeptiert?
Schon allein der Vorschlag genügte, um die Kurse der Bankenaktien explodieren zu lassen, allen voran der Rettungspaketkassierer Commerzbank mit über fünf Prozent. Und prompt verkündete Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann wieder dasRenditeziel 25 Prozent. Für den Bankenexperten Dieter Hein vom Analystenhaus Fairesearch sind die neuen Regeln der Versuch der Politik, »die Krise mit Mitteln zu bekämpfen, die für deren Ausbruch verantwortlich sind«. Man habe »den Banken sogar Wege und Mittel eröffnet, dass sie noch intransparenter geworden sind« 248 . Hein sieht das Unheil schon kommen: »Die nächste Welle der Finanzkrise rollt bereits heran.« Und er erwartet, »dass viele Institute diese Phase nur mit staatlicher Hilfe überstehen« – also einmal mehr der Steuerzahler bluten muss. »Es ist keinesfalls ausgeschlossen, dass sich die Geschichte wiederholt. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Verantwortlichen viel gelernt haben.« 249
Kurzum: Nach der Krise ist vor der Krise.
Pünktlich zum Pittsburgher Weltfinanzgipfel der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) meldet
Spiegel Online:
»Hedgefonds starten wieder durch.« Warum auch nicht: Schließlich konnten sich die Industrienationen noch immer nicht auf eine wirksame Regulierung der Finanzmärkte einigen. Die altbekannte Folge. Heuschrecken wetten besonders gern auf schlechte Wirtschaftsentwicklung, also auf Inflation, sinkende Aktienkurse oder fallende Rohstoffpreise und Zinsen.
Der Schock des Jahres 2009, als fast 1500 Fonds dichtmachen mussten, war wie weggeblasen. So stieg
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