Die gepluenderte Republik
über ihn eine zweite, geheime Personalakte geführt hat, ihn zum Rädelsführer stempelt. Dann kommt jenes Gutachten, das ihn für paranoid und »querulatorisch« erklärt. Als er Anfang 2007 zwangspensioniert wird, holt er ein neues eigenes Gutachten ein, das ihn für psychischkerngesund erklärt. Kein Einzelfall: Drei weitere Kollegen vom Frankfurter Finanzamt V wurden ebenfalls von jenem Psychiater begutachtet und zwangspensioniert.
Inzwischen schaltet sich die Landesärztekammer Hessen ein, und auch die Frankfurter Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Arzt wegen Verdachts auf Gefälligkeitsgutachten. Schmengers zorniges Resümee: »Werden wir erst dann wach gerüttelt, wenn wirklich einer der Betroffenen von der Brücke springt, weil er diesen Druck nicht mehr aushält? Das ist ja ein Vorgehen, das kenne ich eigentlich nur von totalitären Staaten.« 244
So weit muss man nicht gehen, aber fest steht: Zumindest in der Steuerpolitik passt zwischen die Superreichen und die meisten Bundestagsparteien kein Kontoauszug. Bei Schwarz-Gelb war dies schon immer Ehrensache, bei Rot-Grün spätestens seit der Schröder-Fischer-Regierung ebenfalls.
Nimmt man alle Steuergeschenke und faktisch geduldete Steuerhinterziehung zusammen, so dürfte der Schaden der Allgemeinheit zugunsten der Superreichen und Wirtschaftsverbrecher in den dreistelligen Milliardenbereich gehen.
Die Ausplünderung des Staates durch eine kleine Minderheit drückt sich auch in weiteren nüchternen Zahlen aus. Alle Güter wie Fabriken, Immobilien, Aktien und Bargeld zusammengerechnet, besitzen die Deutschen etwa neun Billionen Euro, nur ist dieser Reichtum ungleich verteilt: 1 Prozent der Bevölkerung besitzt über 25 Prozent des gesamten Vermögens in Deutschland – und damit mehr als die unteren 80 Prozent der Bevölkerung zusammengenommen. Den reichsten zehn Prozent gehören fast zwei Drittel des Volksvermögens. Dass dies selbst juristische Akrobaten mit dem Sozialstaatsgebot nur schwer in Einklang bringen können, versteht sich am Rande.
Hinzu kommt: Selfmade-Milliardäre wie etwa SAP-Gründer Dietmar Hopp sind die absolute Ausnahme. Laut Tagesschauhat etwa jeder Dritte aller Superreichen das Vermögen geerbt – darunter nicht wenige von Leuten, deren Ahnen Adolf Hitler durch Finanzspritzen zur Macht verhalfen oder nach 1945 als Kriegsverbrecher verurteilt wurden und großenteils deshalb im Gefängnis saßen.
TEIL VII
Wege aus der Krise
Rettungspakete sind eine Sache, langfristige Strategien und Programme eine ganz andere. Der Politikerspruch »Wir sitzen alle in einem Boot« ist weit mehr als tumbe Harmoniebeschwörung. Tatsächlich kann es in der Marktwirtschaft dem Volk nur gutgehen, wenn es der Wirtschaft gutgeht. Na klar: Auch der Zwergpudel hat ja nur dann genug zu fressen, wenn Frauchen genug Geld hat. Umgekehrt aber gilt das in beiden Fällen nicht: Sogar im Aufschwung gehen trotz explodierender Gewinne die Reallöhne zurück, und selbst gutsituierte Hundehalter lassen ihren Liebling fast verhungern. Dennoch ist auch »die Wirtschaft« – gemeint sind hier meist die Konzerne und bestenfalls der Mittelstand – von den Arbeitnehmern abhängig. Die schließlich schaffen die Produkte und Dienstleistungen, die sich dann als Gewinne in den Bilanzen der Wirtschaft und den Aktiendepots der Bessergestellten niederschlagen. Von daher erinnert die kapitalistische Schicksalsgemeinschaft eher an den Untergang der Titanic. Auch hier fanden sich ja in ein und demselben Rettungsboot Arm und Reich, Betrogene und Betrüger, Opfer und Täter wieder. Dass die Kräfte und Chancen dennoch ungleich verteilt sind, zeigt das Beispiel Teilverstaatlichung: Entweder erholt sich das Unternehmen, dann gewinnen die Aktionäre, oder nicht, dann zahlt das Volk.
1. Der Staat als »Geisel des Kapitalismus« 245
Das Problem ist nur: Man kann nicht ein und dasselbe Geld zweimal ausgeben, und was »die Wirtschaft« und die Reichendem Staat an Subventionen abgeknöpft haben und in Form von Dumpingsteuersätzen legal vorenthalten, das fehlt jetzt natürlich für eine weitere Umverteilung von unten nach oben.
»Die Finanzkrise macht den Staat zur Geisel des Kapitalismus«, schreibt Wolfgang Streek, Direktor des Kölner Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung. »Er versinkt noch weiter in Schulden und verliert jeden politischen Spielraum … die Lösegeldzahlungen an Banken und Industrien werden das politische Spiel grundlegend verändern.« Für
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