Die geraubte Braut
üble Geruch von brennendem Pech und Talg zog an den Mauern hinauf, der Lärm der Angriffstruppen wurde lauter und wilder. Der Gegner sollte gedemütigt und in Angst und Schrecken versetzt werden.
Cato wurde aus dem ersten tiefen Schlaf seit Wochen gerissen. Diana schoss im Bett auf. »Was ist das? Was bedeutet der Lärm?«
Ohne ihr zu antworten, stieg Cato hastig in seine Breeches und lief barfuß und ohne Hemd aus dem Gemach. Giles Crampton kam ihm schon auf dem Korridor entgegengelaufen.
»Eine Belagerung, Mylord. Sie haben die Mauern umzingelt, den Graben überbrückt. Wir haben sie nicht gesehen und nichts gehört. Bei Gott und allen Heiligen, Sir, ich schwöre, dass sie wie Gespenster gekommen sein müssen.« Er rang die Hände vor Verzweiflung, aber Cato, der ihm kaum zuhörte, blieb stumm.
Er stürzte hinaus auf den Mauerkranz und lief ungeachtet der spitzen Steine unter seinen bloßen Füßen zum Wachtturm über der Zugbrücke. »Heilige Muttergottes!« Sein Blick zuckte über Rauch und Flammen hinweg zu den Reihen der Bewaffneten, die sich auf der anderen Seite des Grabens drängten. Er hustete, als der schmutzige, ölige Rauch in seine Lungen drang. Das Feuer konnte keinen Schaden anrichten, da brennendes Reisig und Pech den Mauern nichts anhaben konnten, doch nahm der Qualm einem die Sicht. Dies war auch für die Belagerer ein Nachteil, da sie nicht präzise zielen konnten.
Er befahl den Rückzug von den Wehrmauern. Jetzt galt es, im äußeren Hof anzutreten, um eine Bestandsaufnahme vorzunehmen. Da erschien Diana auf den Stufen des Wohntraktes. Sie hatte einen Mantel über ihr Nachtgewand geworfen und schien außer sich vor Angst.
»Mylord, was gibt es? Werden wir angegriffen?«
Er unterdrückte das Verlangen, sie fortzuschicken. Natürlich fürchtete sie sich und verdiente eine Antwort.
»Es sieht aus, als würden wir belagert, Madam«, sagte er in unbesorgtem Ton, als er die Stufen hinauf auf sie zuging. »Aber es besteht kein Grund zur Panik. Wir sind gut gerüstet und können uns monatelang versorgen. Keller und Speicher sind gefüllt. Und Fairfax wird uns zu Hilfe eilen. Er wird den Belagerungsring in kürzester Zeit sprengen.«
Einen Arm um ihre schmalen Schultern legend, schob er sie vor sich ins Innere. »Ich muss mich ankleiden. Es liegt nun an dir, das Gesinde zu beruhigen – und die Mädchen. Ich gehe davon aus, dass absolut kein Grund zur Beunruhigung vorliegt.«
Als er Diana losließ und forteilte, starrte sie fassungslos vor sich hin, zum ersten Mal im Leben völlig ratlos. Geschrei und Musketenfeuer waren unvermindert laut. Sie hielt sich die Ohren zu, um nichts hören zu müssen.
»Diana, was ist passiert?« Phoebe kam auf sie zugeeilt, ihr auf den Fersen Olivia. »Was ist? Ein Gefecht?«
Diana schüttelte den Kopf, die Hände noch an den Ohren, als sie totenbleich an ihnen vorüberstolperte. Beide sahen ihr verblüfft nach.
»O Gott, so elend habe ich Diana noch nie gesehen«, bemerkte Phoebe verwundert. »Dass ich das erlebe«, setzte sie grienend hinzu.
»Komm!« Olivia zupfte ungeduldig an Phoebes Ärmel. »Auf die Wehrgänge. Wir wollen sehen, was sich tut.« Sie zog Phoebe zur Tür und lief los.
Sie erreichten die äußere Mauer, als der Himmel sich erhellte und rosige und orangegelbe Streifen den Horizont färbten. Männer stürzten aus ihren Unterkünften und drängten sich mit Musketen und Schwertern auf dem Hof. Olivia wich dem Gedränge aus, indem sie sich mit Phoebe an dem Rand des Hofes hielt, bis sie die schmale in die Mauer eingelassene Treppe erreichten. Olivia rannte zum Wehrgang hinauf, um oben keuchend innezuhalten.
»Grauenhaft!« japste Phoebe, die an die Brustwehr trat und hinausspähte. »Sieh diese vielen Soldaten, Olivia. Tausende.« Es war eine Übertreibung, doch im gespenstischen Licht des raucherfüllten Morgengrauens erschienen ihr die Gestalten vervielfacht.
»Sie greifen die Burg an«, stellte Olivia mit einem Anflug von Erregung fest, die ihre Angst überlagerte. »Genau wie Portia es voraussagte.«
»Was konnte Portia denn davon wissen?« Phoebes Neugierde erwachte sofort.
»Portia weiß alles«, gab Olivia zur Antwort.
»Das bezweifle ich«, wandte die realistischere Phoebe ein. »Auch wenn sie auf Seiten der Royalisten steht, kann sie nicht alles wissen.«
»Aber sehr viel«, widersprach Olivia, und Phoebe beließ es dabei.
»Unter welchem Banner stehen die Truppen?« Phoebe beugte sich mit tränenden Augen über die Brustwehr.
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