Die geraubte Braut
von Prince Ruperts Infanterie wird mittags zu uns stoßen, Infanterie und Ingenieure mit Erfahrung in Belagerungstechnik. Granville und seine Truppen können nicht heraus.«
Aus dem Nichts kam ihr das Bild der Geheimtür unter der Zugbrücke in den Sinn. Sie vermeinte die Umrisse im Stein an ihrer Hand zu spüren, konnte den niedrigen, schmalen Tunnel vor sich sehen, der sich durch die Gewölbe wand, über die Steintreppe hinauf in den Küchentrakt.
Als sie Rufus von dem Gespräch zwischen Cato und Giles berichtete, hatte sie die Tür nicht erwähnt. Ihr einziger Gedanke war es damals, Rufus vor der Falle zu warnen. Alles andere war in den Nebeln ihrer Erschöpfung untergegangen.
Sollte sie es ihm jetzt sagen? Aber eine ganze Truppe konnte durch die Tür nicht hinaus, und wer sich hinauswagte, würde innerhalb des Lagers der Belagerer herauskommen. Mochte ein einzelner den scharfen Augen der Posten noch entgehen, würde dies einer Gruppe nicht gelingen.
Es war nicht nötig, dass Rufus von der Existenz der Tür erfuhr. Wenn Cato sie nicht benutzen konnte, um der Belagerung zu entkommen, brauchte Rufus nichts davon zu wissen. Sie konnte die Tür getrost vergessen.
Wenn Rufus aber vom Vorhandensein der Tür Kenntnis hätte, konnte er sich Einlass in die Festung verschaffen.
Ihre Magengrube revoltierte, und ihre Haut Prickelte, als wäre sie durch ein Nesselbeet gegangen. Wenn sie wirklich vorbehaltlos auf Rufus' Seite stand, würde sie ihm doch verraten, was ihm einen Vorteil verschaffen konnte. Oder nicht?
»Rufus?« Wills Stimme drang aus der Dunkelheit, und Rufus wandte sich von Portia ab. Sie atmete tief durch. Der Moment war verpasst … jetzt jedenfalls.
»Alles fertig, Will?« Rufus fragte es im Vorgefühl des Kampfes voller Ungeduld.
»Jawohl.« Will trat zu ihnen.
Er hatte die Kavalkade nicht begleitet, und Portia sah nun, dass sein Gesicht mit Schmutz geschwärzt war und seine Zähne weiß darin aufblitzten, als er grinste. Sie sah seine Erregung, glaubte zu spüren, wie sie in Wellen von ihm ausging. »Alles ist bereit. Noch ehe eine Woche um ist, werden sie ohne Wasser sein.«
»Gut gemacht!« Rufus schlug ihm auf die Schulter. »Du hast einen Mann auf dem Damm postiert?«
»Ja.« Wieder grinste Will.
»Was heißt das?« Portia legte eine Hand auf Rufus' Arm. »Auf welchem Damm?«
»Ach, ich erwähnte doch, ich hätte eine kleine Überraschung für Cato auf Lager.« Rufus ließ das Lächeln sehen, das Portia nicht ausstehen konnte. »Die Wasserversorgung ist der einzige Schwachpunkt von Castle Granville. Der Brunnen wird von einem Bach in den Hügeln hinter uns gespeist. Errichtet man einen Staudamm, versiegt der Brunnen.« Seine geöffneten Handflächen deuteten an, wie einfach das war. »Wenn Cato entdeckt, dass ihm das Wasser ausgeht, wird er springen.«
Portia wusste, dass sie die Taktik nicht missbilligen konnte, wenn sie nicht die Belagerung selbst missbilligte. Es war im Interesse aller, dass sie möglichst rasch beendet wurde. Aber sie haßte den Triumph, den Rufus zeigte, seine prahlerische Genugtuung. Die Niederlage Colonel Neaths hatte er nicht so ausgekostet, im Gegenteil, er hatte den Colonel und seine Leute respektvoll, wenn nicht gar freundschaftlich behandelt. Aber Colonel Neath war ein gewöhnlicher Gegner. Cato war es nicht.
Nun wusste sie, dass sie niemandem etwas von dem Geheimgang in die Festung verraten würde.
Die Gestalten kamen aus dem Dunkel und schwärmten aus, die Anhöhe hinauf. Sie kamen mit Musketenfeuer, Trommelwirbel, Dudelsackklängen und flammenden Fackeln. Die Posten auf den Wehrgängen von Castle Granville waren momentan vor Entsetzen über das Unerwartete wie erstarrt. Die Nacht war ruhig verlaufen. Die Wachen hatten die Wehrmauern abgeschritten, die Turmwächter hatten Karten gespielt und gewürfelt. Nur die üblichen Nachtgeräusche hatten den Frieden gestört.
Und nun rückten in der noch nächtlich dunklen Stunde vor Tagesanbruch bewaffnete Horden unter lautem Kriegsgeschrei gegen sie vor.
Feuer knisterte auf dem schmalen Vorsprung jenseits des Grabens am Fuß der Festung; Rauch stieg erstickend in trangeschwängerten Schwaden auf. Irgendwie, irgendwann in der Nacht waren die Holzstöße unter den Augen der Wachtmannschaft errichtet worden. Irgendwie hatten die Angreifer das Brennholz über den Graben geschafft und es an den Mauern aufgeschichtet. Nun schossen die brennenden Fackeln in Bögen durch die Nacht und fielen auf trockenes Reisig. Der
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