Die geraubte Braut
verlor. Ihr ganzes Sein konzentrierte sich auf ihre Hände, die den Sattelknauf umklammerten. Solange sie ihn nicht losließ, spielte es keine Rolle, dass ihre Augen geschlossen waren, ihr Kopf vornüber hing und ihr Körper schwankte. Ihr Verstand hatte ausgesetzt. Sie konnte nicht daran denken, was passiert war oder noch passieren konnte. Sie existierte nur in diesem Moment, in diesem kleinen Zeitraum, der sie umgab.
So nahm sie kaum wahr, dass sie die Postenstationen des Decatur-Dorfes passierten. Sie waren nicht bemannt, es brannten keine Feuer. Das Dorf war kein Militärlager mehr, und die wenigen Bewohner beschränkten sich auf ihre tägliche Arbeit, die für niemanden eine Bedrohung darstellte.
George führte Penny zu einem gemauerten Haus außerhalb des Dorfes. Es war klein und quadratisch, die Fenster vergittert, die einzige Tür aus massiver Eiche, mit einem schweren Riegel verschlossen. Das Gefängnis.
Als er ihr beim Absitzen helfen wollte, fiel Portia George fast in die Arme. Sie umklammerte Juno, als wäre das Hündchen ihre einzige Verbindung zum Leben. Ohne ihre Umgebung wahrzunehmen, stand sie schwankend da, als George den Riegel anhob und die Tür öffnete. Er bedeutete ihr, ins dunkle und muffige Innere einzutreten, das, in zwei Zellen unterteilt war, enge, vergitterte Räume,- in denen eine schmale Pritsche und ein Eimer standen. In einem Gefängnis war Komfort überflüssig.
»Hier herein, Mädchen.« George schwang eine der Gittertüren auf und schob sie hinein. »Ich hole Wasser und Brot. Der Herr sagte, Ihr sollt hier drinnen bleiben, bis er entschieden hat, was aus Euch werden soll.«
Als Portia sich auf die Pritsche mit den zwei dünnen Decken fallen ließ, kam sie sich vor wie im Himmel. In die Decken gehüllt, schlief sie sofort ein, während Juno sich an ihre Brust schmiegte. Sie hörte nicht mehr, wie George mit einem Wasserkrug und einem Laib Brot eintrat, hörte nicht das Knirschen des Schlüssels im Schloss oder den schweren Riegel, der an der Außentür zugeschoben wurde.
Stunden später wurde sie von Juno geweckt. Es war dunkel, und Portia hatte momentan keine Ahnung, wo sie sich befand, und wusste einen schrecklichen Augenblick lang gar nicht, wer sie war. Die Hündin, die es sichtlich eilig hatte, hinauszukommen, kratzte und winselte an der verriegelten Tür.
»O Gott!« Portia setzte sich auf, als die Erinnerung wieder einsetzte und mit ihr die morgendliche Übelkeit. Ihr Gesicht fühlte sich aufgedunsen und wund an, ihr Mund zu doppelter Größe geschwollen. Sie taumelte zum Eimer, um sich zu erbrechen, doch war es so lange her, seit sie etwas gegessen hatte, dass sie fast nichts herausbrachte. Juno hörte nicht auf zu winseln.
»Ich kann dich nicht hinauslassen.« Portia kauerte auf ihren Fersen auf dem kalten Steinboden, zum ersten Mal in voller Erkenntnis ihrer schlimmen Lage. »Ich kann keinen von uns beiden hinauslassen.« Schwaches, diffuses Licht drang durch das vergitterte Fenster hoch oben in der Wand, vermutlich Mondlicht. Es herrschte absolute Stille. Würde man sie hier etwa für immer festhalten und vermodern lassen?
Ein schrecklicher Gedanke, fast schlimmer als die Aussicht, die sie in York erwartete. Sie bezwang ihre Panik, schluckte die Tränen hinunter und brach ein Stück Brot ab. Trockenes Brot half manchmal gegen Übelkeit. Sie kaute es ganz langsam und spürte, wie ihr Magen sich beruhigte. Juno gab in der entgegengesetzten Ecke der Zelle ihrer Not nach und sah Portia reuig an.
Dann war ein Geräusch zu hören. Ein Scharren, als der schwere Riegel an der Außentür angehoben wurde. Licht drang herein, und Portia ließ einen Ausruf der Erleichterung hören.
»Na, was habt Ihr angestellt und verbrochen?«
Nie waren Portia menschliche Laute willkommener gewesen als Josiahs knarrende Stimme. Der Alte stellte seine Lampe auf den Tisch vor Portias Zelle. Von dem zugedeckten Gefäß, das er neben die Lampe stellte, stieg würziger Duft auf. Josiah näherte sich der Zellentür. Das Licht spiegelte sich in seinem runden Kahlkopf und verlieh der flaumigen weißen Tonsur einen rosigen Hauch.
»Ich lasse das Hündchen lieber hinaus … ach, zu spät.« Als er die Pfütze bemerkte, schüttelte er ärgerlich den Kopf. »Ein paar Mal guckte ich herein, aber ihr beide habt dagelegen wie tot. Ich hole einen Lappen.«
»Kannst du uns hinauslassen?« Portia stand auf und trat an das Gitter.
»Nur den Hund, sagte George.« Josiah sperrte die Tür auf und
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