Die geraubte Braut
Möglichkeit geboten hätte, überraschend in die Festung einzudringen. Sie hatte von der Tür gewusst und die Information nicht weitergegeben. Dafür konnte es nur einen Grund geben.
Nun wusste er, dass sie ihn die ganze Zeit über hintergangen hatte. Sie hatte ihm eine wichtige Information geliefert, um ihn von ihrer Glaubwürdigkeit zu überzeugen. Granville hatte ihm seine Schätze nur überlassen, um eine Spionin in sein Lager einschleusen zu können. So einfach war das, und er war darauf hereingefallen. Weil er einmal bei einer Granville in seiner Vorsicht nachgelassen hatte, war er zum Narren gemacht worden.
Seine kalte Gleichgültigkeit wich von ihm, und seine Stimme bebte vor Wut, als er ihr entgegen schleuderte: »Seit Beginn der Belagerung hast du die Tür benutzt, um in die Burg einzudringen. Du hast deine Familie besucht, hast sie mit Informationen versorgt und ihr Trost gebracht. Was hat Cato zu …«
»Nein!« rief sie aus. »Das habe ich nicht. Es war das erste Mal. Rufus, ich habe dich nicht betrogen. Ich wollte nur meine Freundinnen besuchen. Das ist alles.«
»Verzeihung, Mylord, aber ich bin völlig verwirrt.« Der Captain sagte es zögernd. »Ist das einer Eurer Männer?«
Rufus beugte sich vor und nahm Portia die Mütze ab. »Nein. Sie gehört nicht zu meinen Leuten, aber sie begleitet uns.«
»Ach so.« Der Captain nickte verständnisvoll. Armeedirnen waren nichts Besonderes, wenngleich diese durch ihre Kleidung ungewöhnlich wirkte. Im Übrigen hatte sie wohl Schändlicheres im Sinn gehabt, als nur den Soldaten zu folgen. »Sie hat spioniert?«
»Es sieht ganz danach aus«, sagte Rufus so distanziert wie vorhin. »Und nicht das erste Mal.«
»Nein, das stimmt nicht!« Portia hörte selbst, wie verzweifelt sie klang. Sie konnte es nicht fassen, dass Rufus sie vor dem Captain verleugnet und sie mit einer gewöhnlichen Dirne auf eine Stufe stellte. »Du weißt, dass ich es nicht getan habe, Rufus.«
Er ignorierte ihr Flehen. »Du leugnest nicht, die Burg durch einen geheimen Eingang betreten zu haben?«
»Nein.«
»Du leugnest nicht, dass dies als Einverständnis mit dem Feind gewertet wird?«
»Olivia und Phoebe sind keine Feinde«, sagte sie in dem trostlosen Wissen, dass sie ihn von der Harmlosigkeit ihres Tuns nicht überzeugen konnte … diesmal nicht.
»Du warst in der Festung. Du hast dich in die Mitte der Feinde begeben.« Er ließ eine wegwerfende Handbewegung folgen. »Du hast den Eid auf unsere Flagge geleistet und ihn gebrochen.«
Portia schüttelte den Kopf. In Wangen und Lippen spürte sie unangenehmes Pochen. »Bitte, Rufus -«
»Hast du etwas in die Festung geschmuggelt?« Er fiel ihr ins Wort, brüsk und rau.
Sie sah ihn verwirrt an. »Nur Früchte«, sagte sie. »Ich dachte mir, sie müssten Durst haben.« Damit hatte sie sich selbst endgültig ihr Urteil gesprochen.
Der Captain folgerte auf der Stelle: »Das gilt als Beihilfe für die Rebellen, die Feinde des Königs. Verrat fällt in die Kompetenz des Hauptquartiers.«
Rufus sah Portia unverwandt an. »Wie konnte ich so hintergangen werden?« sagte er. »Aber du bist eben eine Granville und trägst den Keim von Verrat und Betrug im Blut.« Mit einer Geste des Abscheus wandte er sich ab.
»Das ist eine Sache fürs Hauptquartier, Mylord«, wiederholte der Captain. »Sobald es tagt, wird sie zum Verhör dorthin geschafft.«
»Rufus …« Portia streckte flehentlich die Hand aus. Er konnte sie nicht einfach im Stich lassen. Das konnte er nicht.
Er warf einen Blick über die Schulter und sagte mit derselben kalten Distanziertheit: »Ich kann für dich nichts tun. Du hast dein Urteil selbst gesprochen«. Damit öffnete er die Zeltplane und war verschwunden.
Portia starrte die Zeltklappe an, die sich noch bewegte, wo er sie grob beiseite gerissen hatte. Sie konnte nicht glauben, dass ihre ganze Welt zusammengebrochen war, so plötzlich, so vollständig und so grundlos. Doch als man ihre Hände mit einem dicken rauen Seil fesselte und sie hinaus in die Nacht schleppte, wurde ihr klar, welche Schrecken ihr bevorstanden – der Kerker und das Verhör in York, an dessen Ende der Galgen wartete. Sie wollte laut schreien ob dieser Ungerechtigkeit, doch ihre Stimme gehorchte ihr nicht.
Man zwang sie, sich in einiger Entfernung vom Wachtzelt am Fuß eines Baumes hinzusetzen und band sie mit dem Seil unter den Armen an den Stamm. Mit dem losen Ende des Seils, das um ihre Hände lag, wurden auch ihre Knöchel gefesselt.
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