Die geraubte Braut
das Brot anschneiden, Mylord?«
Rufus nahm ein Messer und einen Laib Gerstenbrot vom Tisch, drückte den Laib an seine Brust und schnitt ihn in Scheiben, wobei seine Schnelligkeit und Geschicklichkeit anzeigten, dass Verrichtungen dieser Art für ihn nicht ungewohnt waren.
Wider Willen fasziniert, beobachtete Portia ihn. Diese häusliche Tätigkeit schien den großen Händen des rotbärtigen Riesen nicht angemessen. Bemerkenswert wohlgeformte Hände, wie sie feststellte, mit langen, schlanken Fingern, glatten Knöcheln und breiten, sorgfältig gefeilten Nägeln. Seine unter den zurückgeschlagenen Manschetten sichtbaren Handgelenke waren kräftig und mit rotgoldenen Härchen bedeckt.
»So«, sagte Rufus und legte das geschnittene Brot auf den Tisch. »Eine Antwort auf meine Frage, ehe wir essen. Wer seid Ihr?«
Die Ablenkung kam als Erleichterung. »Ich bin Portia Worth.« Sie hatte keinen Grund, ihre Identität zu verbergen.
»Ach so.« Er nickte und griff zu seinem Humpen. »Der Spross von Jack Worth.« Er betrachtete sie mit einem Anflug von Mitgefühl. »Auf die nächste Frage müsst Ihr nicht antworten, aber seid Ihr außerehelich geboren?«
Portia zuckte mit den Achseln. »Als Ehemann hätte Jack nicht getaugt.«
»Nein, gewiss nicht.«
»Ihr habt ihn gekannt?« fragte sie erstaunt und interessiert.
»Ich wusste von ihm. Ich wusste auch, dass er den Namen seiner Mutter annahm.« Rufus lachte kurz auf. »Aus falschem Feingefühl, weil er den Namen Granville nicht mit seinen Missetaten beflecken wollte! Als ob dieser Name nicht schon befleckt gewesen wäre. Kommt, setzt Euch an den Tisch.« Er deutete auf einen Schemel, und Annie stellte Holzschüsseln mit dampfender Suppe vor sie hin.
Portia war es nicht gewohnt, die Familie ihres Vaters zu verteidigen, weil sie es nicht gewohnt war, angegriffen zu werden. Sogar Jack mit seinem trunkenen Zynismus hatte seinem Halbbruder Cato ein gewisses Ausmaß an Respekt gezollt, das fast an brüderliche Liebe grenzte. Mochte sie auch niedrig geboren sein, sie war trotzdem eine halbe Granville und hatte gelernt, die Untaten der geächteten Decaturs mit den Augen ihres Vaters zu sehen. Ihr Zorn regte sich, und sie vergaß ihre Vorsicht.
»Was Untaten anlangt, denkt lieber an die eigenen«, gab sie scharf zurück. »Mord, Raub, Brigantentum …«
»Aber, aber, Miss, an meinem Tisch derart zu lästern …« mit vor Entrüstung geröteten Wangen drehte Annie ihren Töpfen am Herd den Rücken. »Lord Rufus ist in meinem Haus als Gast wohlgelitten, und wenn Ihr …«
Angesichts ihres vorangegangenen Wortwechsels fiel Rufus' Erwiderung erstaunlich aus. Er hob die Hand, um dem Wortschwall der Hausfrau Einhalt zu gebieten. »Pst, Annie, das Mädchen vertritt nur seinen Standpunkt. Wäre es anders, hätte ich von ihm eine geringere Meinung.«
»Ist das als Kompliment gemeint?« fragte Portia. »Eure Meinung kümmert mich keinen Pfifferling, Lord Rothbury.«
»Bislang konnte ich mir darüber kein endgültiges Urteil bilden«, sagte er. »Euer Granville-Blut spricht eindeutig gegen Euch, aber Eure Loyalität trage ich Euch nicht nach, wenn ich sie auch für unangebracht halte.« Er griff nach seinem Löffel. »Aber hütet Euch vor unbegründeten Anschuldigungen. Und jetzt setzt Euch und nutzt Euren Atem, um die Suppe zu kühlen.« Seine Aufmerksamkeit galt nun seinem Teller, als hielte er das Thema für abgeschlossen.
Es hatte keinen Sinn, das letzte Wort behalten zu wollen und dabei zu verhungern. Portia zog mit dem Fuß den Schemel heran und setzte sich. Nun fiel kein Wort mehr, bis sie ihren Teller halb leer gegessen hatte und Rufus mit seinem fertig war.
»Und was führt Euch zu Cato?« fragte er dann.
»Jack ist tot.«
Ihm entging der flüchtige Schatten nicht, der über ihre Augen glitt. »Das tut mir leid«, sagte er leise.
»Ich hatte nur ihn«, erwiderte sie. Ihr nüchterner Ton strafte ihre Gefühle Lügen. Nachts weinte sie noch immer um ihren Vater.
»Und deshalb liefert Ihr Euch der Gnade Granvilles aus?«
Sein spöttischer Ton verriet, dass sein Anflug von Mitgefühl vergangen war. Portia wurde wieder die Realität ihrer Situation vor Augen geführt: Sie war sozusagen entführt worden, während Decaturs Leute mit ihrer Eskorte Gott weiß wie umsprangen. Entschlossen legte sie ihren Löffel hin.
»Esst Eure Suppe auf«, sagte Rufus. »Annie wird ungehalten, wenn etwas bleibt.«
Portia schob die Schüssel von sich.
Rufus zog eine Braue hoch. »Woher
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